Stellungnahme von Prof. Doreen Richardt, LL.M. zum Thema Frauengesundheit im Rahmen der Anhörung des Sozialausschusses des Schleswig-Holsteinischen Landtags 

Kiel, 13. Februar 2025


„Der Ärztekammer Schleswig-Holstein ist eine qualitativ gute sowie bedarfsorientierte und zukunftsfähige Versorgungssituation der Patientinnen sehr wichtig. Auf politischer Ebene gibt es Förderprogramme z.B. die des BMFSFJ. Viele gute Ideen sind detailliert durchdacht, aber bisher nicht in der Versorgung angekommen.

Frauen sind in vielfacher Weise von spezifischen gesundheitlichen Herausforderungen betroffen, die eine gezielte medizinische Versorgung und gesundheitspolitische Maßnahmen erfordern. 

Wir haben heute schon viel darüber gehört, wo Frauen benachteiligt sind, wie es zu Fehldiagnosen und Therapieverzögerungen mit möglichen Folgeschäden kommt und womit Verbesserungen erfolgen könnten. 

Sie landen verspätet in der Notaufnahme, im Herzkatheterlabor und auf dem OP-Tisch. Frauen haben seltener einen Herzinfarkt, sterben aber häufiger daran. Sie werden kürzer reanimiert, sie spenden häufiger ein Herz, erhalten aber seltener eines transplantiert. Frauen bekommen Medikamente häufig in zu hoher Dosierung, allerdings seltener Schmerzmittel und stattdessen Psychopharmaka.

Prof. Doreen Richardt, LL.M

Prof. Doreen Richardt, LL.M.
Vizepräsidentin der Ärztekammer Schleswig-Holstein

Auch dass Frauen in der Forschung kaum berücksichtigt und die Dosierung der Medikamente ist oft nicht angepasst werden und die hochproblematische Versorgung von Frauen mit Behinderungen haben wir gehört.

Wir brauchen den Einstieg in eine individualisierte Versorgung und müssen hinterfragen, inwiefern z.B. evidenzbasierte Leitlinien weiter für alle Menschen verbessert werden können.

Die Ärztekammer sieht ein Erfordernis für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärztinnen und Ärzten, Politikerinnen und Politikern und anderen Akteuren im Gesundheitswesen, um die Gesundheitsversorgung von Frauen zu verbessern und geschlechtsspezifische Ungleichheiten abzubauen.

Wir müssen die Gesundheitskompetenz von Frauen fördern, um eine selbstbestimmte und informierte Entscheidung über die eigene Gesundheit zu ermöglichen. Im Folgenden möchte ich einige Beispiele aufführen, bei denen wir Ärztinnen und Ärzte Bedarf zur Verbesserung sehen:

Mädchengesundheit, Sexualaufklärung, Menstruationsgesundheit, Verhütung und Familienplanung, Gesundheit und Kinderwunsch, Vermeidung und adäquate Therapie sexuell übertragbarer Erkrankungen, Ernährung, Bewegung, Gewaltprävention, Frauen mit Behinderungen, Krebserkrankungen bei Frauen, Wechseljahre, Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und psychische Gesundheit. Hier halten wir die verstärkte Aufklärung über frauenspezifische Gesundheitsrisiken, die Verbesserung der Versorgung und die wissenschaftliche Forschung für zielführend, um eine Verbesserung der Frauengesundheit zu erzielen. 

Alles gerade Aufgelistete erscheint sinnvoll. In der Versorgungsrealität in den Praxen und Kliniken gibt es dafür aber kaum bzw. keine Zeit. Auch Barrierefreiheit zu schaffen ist insbesondere im niedergelassenen Bereich nicht einfach. 

Hinzu kommt z.B., dass es insbesondere bei Frauen mit Migrationshintergrund häufig bei Sprachbarrieren und anderen kulturellen Vorstellungen zu massiven Defiziten und auch zur Ablehnung von sinnvollen Therapien kommt. Oft kommt es auch zu nicht aufklärbaren Ängsten.

Sinnvoll erscheinen ggf. auch mehrsprachige Informationskampagnen vom Kindergarten bis in die Postmenopause. Viele ältere Frauen wissen z.B. nicht, dass ihr Risiko für Krebserkrankungen steigt und man deshalb weiter zu gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen gehen sollte. Das machen viele Frauen nicht, weil sie denken, „sie seien durch mit dem Thema“.

Es sollten niedrigschwellige und digitale Informationsangebote zur Frauengesundheit angeboten werden, insbesondere um auch sozial benachteiligte Gruppen zu erreichen. Informationsbroschüren und Internet-Seiten sollten auf zahlreichen Landessprachen übersetzt sein und es sollte mehr Möglichkeiten geben, Patientinnen Informationen auf anderen Sprachen zur Verfügung zu stellen.

Aber auch digitale Formate für die medizinische Versorgung gilt es weiter auszubauen. Es gibt zum Beispiel eine erfolgreiche DIGA „Pink“ für Brustkrebs mit Informationen und Möglichkeiten, sich mit anderen zu verbinden/auszutauschen; das kann man sicherlich für viele weitere Situationen übernehmen.

Eine andere Möglichkeit wäre es, Anamnesen (z.B. in der ePA) zu übernehmen, damit die Patientinnen nicht immer wieder ihre Geschichte komplett erzählen müssen, denn oft sitzt eine andere Ärztin bzw. ein anderer Arzt z.B. in den Hochschulambulanzen, die bzw. der sich wieder neu in die Patientenhistorie eindenken muss. Beispielsweise in der Gynäkologie ist es sehr belastend immer wieder einen unerfüllten Kinderwunsch oder Fehlgeburten aufzulisten. 

Es sollten seriöse Informationen hinsichtlich Schwangerschaft, Schwangerschaftsvorsorge bzw. Schwangerschaftsabbruch z.B. als App zur Verfügung gestellt werden. Es gibt sehr viele kursierende Fehlinformationen z.B. in sozialen Medien, die völlig falsche Vorstellungen hervorrufen. Zudem gilt es in unseren Augen die Hebammenversorgung zu verbessern. Häufig haben gerade Patientinnen in schlechten sozioökonomischen Verhältnissen Sprachbarrieren und keine – und besonders in diesen Fällen dringend benötigte - Hebamme.

Wir sehen einen großen Schwerpunkt für eine gute medizinische Versorgung der Bevölkerung in der Prävention. Eine verbesserte Beratung durch Haus- und Fachärzte zu Präventionsmaßnahmen wäre wünschenswert. 

Aber auch die Früherkennung und Prävention von psychischer Belastung und Depression z.B. durch die Pflege von Angehörigen, den eigenen Eltern und Kindern sind wichtige Themen inklusive der Betreuungsmöglichkeiten, sofern medizinische Behandlungen für die pflegende Person notwendig sind. Beispielsweise werden in den gynäkologischen Praxen leider immer wieder fortgeschrittene Brustkrebsfälle gesehen, „weil keine Zeit war, sich um sich selbst zu kümmern“.

Als Ärztekammer widmen wir uns der Gesundheitskompetenz durch regelmäßige Vorträge in Zusammenarbeit mit den Landfrauen als enorme Multiplikatoren in Schleswig-Holstein, Fortbildungsprogramme und einem engen Austausch mit unseren Mitgliedern z.B. über die Kreisausschüsse und bauen dies immer weiter aus.

Im Januar haben wir eine Umfrage unter unseren Mitgliedern in Schleswig-Holstein zum Thema „Gewalt gegen Ärztinnen und Ärzte“ durchgeführt. Die Ergebnisse waren erschütternd. Die Hälfte der Befragten hat bereits Gewalt in verbaler oder tätlicher Form durch Patienten erfahren. Diese Angriffe auf medizinisches Personal nehmen zu und sind auch ein Angriff auf die Patientenversorgung und die gesamte Gesellschaft. 

Aber auch das Thema Gewalt gegen Frauen stellt ein gravierendes gesundheitliches und gesellschaftliches Problem dar. Ärztinnen und Ärzte spielen eine entscheidende Rolle bei der Erkennung und Versorgung betroffener Frauen, weil sie häufig die erste und einzige Anlaufstelle für Betroffene sind. Der sozio-kulturelle Hintergrund wird hier sicherlich eine zunehmend prominente Stellung einnehmen. Beispielsweise hatten fast alle verletzten Frauen, vor allem mit Migrationshintergrund, die in chirurgischen Ambulanzen behandelt wurden, einen „Unfall“ – meist „Treppensturz“ o.ä., obwohl dies aus ärztlicher Sicht bezweifelt werden durfte. Die wenigen, die häusliche Gewalt als Ursache zugaben, waren in der Regel nicht bereit, konkrete Schritte (z.B. Anzeige, Frauenhaus) mitzugehen. 

Bei häuslicher Gewalt fühlen sich Hausärzte mitunter überfordert, gerade wenn die Patientin keine rechtsmedizinische Ambulanz aufsuchen möchte und der "Täter" auch als Patient in der jeweiligen Praxis geführt wird. Es bleibt weiterhin schwierig, z.B. bei Vergewaltigungen Befunde gerichtsfest zu dokumentieren, ohne die Polizei einzuschalten. Die Hürde, dafür extra in die Rechtsmedizin zu gehen, ist für viele Patientinnen hoch. In den Notaufnahmen müssen sie teilweise ohne Polizei länger warten, weil andere Patientinnen (z.B. bei Blutungen) dringender triagiert werden. Als Ärztin oder Arzt hat man da nicht wirklich die Chance, die Patientin z.B. psychologisch akut betreuen zu lassen. Eine Berliner Initiative (S.I.G.N.A.L.) versucht eine rechtssichere Dokumentation sicherzustellen, diese ist aber so umfangreich, dass sie nicht so nebenbei in der Notaufnahme oder Sprechstunde gelingt. Hier eine bessere Aufklärung und Hilfestellungen zu gewährleisten wäre wichtig. Auch der Vorschlag, dass im niedergelassenen Bereich geschulte Profis, die diese Aufgabe leisten, in Anlaufpraxen sitzen und dafür bezahlt werden sollten, kam bereits von Hausärzten. Ob dieses Angebot dann niederschwelliger ist als das Aufsuchen der Klinikambulanz sei dahingestellt, hätte aber den Vorteil, dass die/der behandelnde Arzt nicht zwischen die Fronten gerät, wenn der Täter z.B. ebenfalls Patient in der Hausarztpraxis ist. 

Ein Bundesförderprogramm „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ wurde wissenschaftlich begleitet. Einerseits wurden die Einzelprojekte begleitet und eine Gesamtevaluation durchgeführt und auch Aspekte der Präventionsarbeit wurden evaluiert. Hier sehen wir einen wichtigen Hebel. Es sollte klar geregelt werden, welche staatliche Ebene im Sinne der Instanbul-Konvention künftig für welche Aspekte der Prävention zuständig sind, im Einzelnen könnten dies sein der ÖGD, hausärztliche Praxen, Beratungsstellen, Kommunen und Städte etc.

Zusammenfassend brauchen wir:

  • Verbindliche Schulungen für medizinisches Fachpersonal zur Erkennung von Gewaltopfern und zur Einleitung geeigneter Maßnahmen.
  • Den Ausbau spezialisierter Anlaufstellen in Kliniken und Praxen, um betroffenen Frauen eine geschützte und kompetente Versorgung zu gewährleisten.
  • Eine enge Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, Justiz und Polizei, um Opfern eine umfassende Unterstützung zu bieten. 

Ein weiterer Punkt, der mir als Vizepräsidentin der Ärztekammer am Herzen liegt, ist die Weiterbildung. Weiterbildung – und das heißt in der Regel den Erwerb einer Facharztqualifikation – ist wichtig zur Sicherung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung mit Fachärztinnen und Fachärzten und mit Spezialistinnen und Spezialisten und eben auch der Frauengesundheit. Zusätzlich findet auch in der Ärzteschaft neben dem Ausscheiden von massenhaft Babyboomern ein Generationenwandel mit einer anderen Work-Life-Balance, hohem Teilzeitanteil und hohem Frauenanteil statt. Zudem verlassen zunehmend viele Mediziner die Krankenversorgung in Deutschland komplett und arbeiten im Ausland oder außerhalb des Gesundheitssystems weiter. Wir brauchen aber gut weitergebildete Fachärztinnen und Fachärzte für eine qualitativ hochwertige Versorgung unserer Bevölkerung. Wir haben in Teilen des Landes inzwischen Not, die hausärztliche Versorgung und die Versorgung von Kindern zu gewährleisten. Werden Kinder medizinisch nicht gut versorgt, leiden auch Frauen darunter, Männer natürlich auch.

Eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung von Frauen setzt eine fundierte Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte voraus. Während inzwischen nahezu jede Universität gendersensible Vorlesungen im Programm hat und dadurch bereits jetzt die Studierenden gut ausgebildet werden, ist die gendersensible Weiterbildung als fertige Ärztin oder Arzt extrem von den Weiterbildungsbefugten abhängig. Mit Blick auf die Krankenhausreform appellieren wir dringend an die politischen Verantwortlichen, die Belange von Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung nicht zu vernachlässigen. Bei der Umsetzung der Krankenhausreform muss sichergestellt werden, dass genügend Kliniken und Praxen weiterhin die Voraussetzungen für die Facharztweiterbildungen erfüllen können und die Weiterbildung auch finanzieren können. Andernfalls drohen längere Weiterbildungszeiten durch häufige Arbeitsplatz- und Ortswechsel, was den bestehenden Fachkräftemangel verschärfen und für Patientinnen zu noch längeren Wartezeiten und damit zu einer schlechteren Versorgung führen könnte. 

Als Lösung wird es vermehrt Weiterbildungsverbünde geben müssen, da selbst Maximalversorger nicht mehr alles weiterbilden werden können und damit in vielen Fachgebieten nicht mehr die volle WB-Befugnis bekommen können.

Darin liegt in meinen Augen aber auch eine große Chance für eine strukturierte und zügigere WB und die Reduzierung von Abhängigkeitsverhältnissen.

Bei den WB-Bünden dürfte vor allem die Finanzierung im ambulanten Bereich ein großes Problem darstellen, aber auch im stationären Bereich wird die Finanzierung der Weiterbildung bisher nicht abgebildet, sondern läuft im besten Falle mit. Gerade für die Sensibilisierung für gendersensible Themen wird aber Zeit benötigt.

Durch die BÄK kam es zur Entwicklung von ÄPS-BÄK als ärztliches Personalbemessungstool mit Verankerung im SGB V. Hier wird erstmals die WB zumindest punktuell finanziell abgebildet und wir hoffen hier auf eine entsprechende Umsetzung. 

Die Förderung und Stärkung der Frauengesundheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die ein gemeinsames Engagement aller Akteure erfordert – von der Politik über das Gesundheitswesen bis hin zur Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Nur durch koordinierte Maßnahmen, bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen und eine gezielte Gesundheitsprävention können wir die gesundheitlichen Herausforderungen von Frauen in Schleswig-Holstein nachhaltig verbessern. Wir appellieren daher an den Schleswig-Holsteinischen Landtag, die gesundheitliche Chancengleichheit entschlossen zu fördern und gemeinsam mit allen Beteiligten die notwendigen Rahmenbedingungen für eine geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung zu schaffen. Als Ärztekammer stehen wir für diesen Dialog zur Verfügung.“