Pädiatrie ohne Sektorengrenze
Der Weiterbildungsverbund Pädiatrie Schleswig-Holstein wird drei weitere Jahre lang über den Versorgungssicherungsfonds der Landesregierung gefördert. Jetzt geht es darum, die Arbeit des Verbunds zu optimieren. Rund 458.000 Euro stellt das Land dafür zur Verfügung.
Bei der Stärkung der pädiatrischen Grundversorgung haben Aus- und Weiterbildung der angehenden Kinder- und Jugendmediziner für das Landesgesundheitsministerium eine „herausragende Bedeutung“. Um die Weiterbildung in der Pädiatrie zu stärken, hatte das Land deshalb ein erstes Projekt bis September 2022 bereits mit 98.000 Euro gefördert. Pädiatrische Weiterbildung fand als Folge nicht vorwiegend im klinischen Umfeld stattfand, sondern auch in kinder- und jugendmedizinischen Praxen. Ministerin Prof. Kerstin von der Decken (CDU) bewertete das bislang Erreichte positiv. „Das alles gefällt uns ausgesprochen gut“, sagte sie bei der Übergabe des zweiten Förderbescheids in der Bibliothek der Lübecker UKSH-Kinderklinik. Sie betonte auch, dass solche Ansätze „von unten“, von den an der Versorgung Beteiligten, kommen müssten.
Zu diesem Kreis gehört u.a. der Sprecher des Verbunds, Dr. Christoph Weiß-Becker. Der in Husum niedergelassene Pädiater will mit der zweiten Förderung u.a. erreichen, dass ein festes Rotationssystem zwischen Kliniken und Praxen und mehr Planungssicherheit eingeführt wird. Allen Ärzten soll ein entsprechendes Angebot gemacht werden. Weitere Fortschritte, die die Initiatoren mit der zweiten Förderung erreichen wollen: Das elektronische Logbuch soll künftig auch im stationären Bereich eingesetzt und die Schnittstellen zwischen den Weiterbildungskonzepten in den beiden Sektoren besser verbunden werden. Außerdem soll mit der psychosomatischen Grundversorgung ein weiterer verpflichtender Inhalt der Weiterbildungsordnung als Angebot im Verbund etabliert werden.
Als Pilotkliniken für diese Ziele beteiligen sich die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKSH in Lübeck sowie die Kinderklinik am Klinikum Itzehoe. Lübecks Klinikdirektor Prof. Egbert Herting betonte bei der Übergabe des Förderbescheids, wie wichtig die Weiterbildung für beide Sektoren sei. „Mindestens die Hälfte der Kolleginnen und Kollegen in der Weiterbildung bilden wir für die Praxis aus“, betonte er. Entsprechend gewachsen ist inzwischen das Interesse der Praxen: Von 19 Praxen in der ersten Förderperiode ist deren Zahl inzwischen auf 35 gestiegen.
Eine der Praxen ist die von Dehtleff Banthien aus Bad Oldesloe. Gemeinsam mit Dr. Anne Hellfritsch, Ärztin in Weiterbildung, bestätigte er die Bedeutung des Verbunds und der Weiterbildung junger Kollegen in der Praxis. Banthien sprach von einem „qualitätsbildenden Faktor“, wenn Praxisinhaber sich mit kritischen Fragen junger Kollegen auseinandersetzen. Hinzu kommt aus seiner Sicht, dass diese die Haltungen aus beiden Sektoren transportieren und das wechselseitige Verständnis erhöhen. Und: „Die Kommunikation in der Praxis ändert sich.“ Hellfritsch rotiert zwischen der Praxis in Oldesloe und der UKSH-Kinderklinik in Lübeck. Die Teilnahme am Verbund war ein wichtiger Grund, sich dort zu bewerben. „Ein absolut gelungenes Projekt“ sagte sie, denn vieles von dem, was sie in der Praxis gelernt habe, könne in der Klinik nicht vermittelt werden – und andersherum genauso. Besonderheiten in der Praxis, die in der Klinik nicht vorkommen, sind laut Banthien und Hellfritsch etwa die enge, langfristige Begleitung der Kinder, die Entwicklungsbeobachtung und die Vernetzung im sozialen Raum, etwa mit Kindergärten.
Die Vernetzung wird nach Überzeugung der Beteiligten dazu beitragen, das Verständnis zwischen Kliniken und Praxen zu verbessern. Wie wichtig das ist, zeigte die Einführung von Sozialwissenschaftlerin Dr. Irene Somm, die auch das erste Projekt begleitet und in Gesprächen mit beiden Seiten herausgefunden hatte, dass in Kliniken oft noch tradierte Vorstellungen von der Arbeit in Kinderarztpraxen bestehen und missverständliche Informationen bei den Einweisungen beklagt werden. In den pädiatrischen Praxen wiederum fühlen sich viele von Informationen über die Weiterbehandlung abgeschnitten und erleben zum Teil arrogante Haltungen. Und beide Seiten seien gut darin, sich wechselseitig Inkompetenz zuzuschreiben. „Solche Haltungen bekommen Ärztinnen und Ärzte in der Weiterbildung hautnah mit“, gab Somm zu bedenken. Alle Beteiligten sind optimistisch, dass sich solche Missverständnisse durch das Projekt abbauen lassen.
Dirk Schnack