„Wir brauchen eine qualitativ hochwertige Geburtshilfe"
Kiel, 1. Dezember 2022.
Zur mündlichen Anhörung im Sozialausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags zur Situation der Geburtshilfe erklärt die Vizepräsidentin der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Dr. Gisa Andresen: „Der Ärztekammer Schleswig-Holstein ist eine qualitativ gute sowie bedarfsorientierte und zukunftsfähige Versorgungssituation in der Geburtshilfe sehr wichtig. Eine wohnortnahe und gleichzeitig hochqualifizierte Versorgung kann es vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen allerdings nicht für Jede und Jeden geben – auch nicht in der Geburtshilfe.
Wir haben im Land weder die Hebammen noch ausreichend pflegerisches und ärztliches Fachpersonal, um flächendeckend die erforderliche Expertise vorhalten zu können. Auch nicht für die ebenfalls vor Ort notwendige technische und organisatorische Infrastruktur für den jeweiligen 24/7-Betrieb. Unser Fokus muss somit auf der Versorgungsqualität liegen.
Allerding fehlen neben Frauenärztinnen und Frauenärzten auch Kinderärztinnen und Kinderärzte, die aus unserer Sicht an jedem geburtshilflichen Standort notwendig sind, um die auch für Level-4-Geburtskliniken geforderten Standardprozeduren für die notfallmäßige Versorgung von Neugeborenen gewährleisten zu können.
Wenn die Rückkehr zur physiologischen Geburt gefordert und festgestellt wird, braucht nicht jede Frau unter der Geburt High-Tech-Medizin. Selbstverständlich haben die Schwangeren aber laut § 24 SGB V die freie Wahl, wenn es um die Entbindungsmöglichkeit geht.
Wenn es aber während der Geburt zu Komplikationen kommt, geht es um Minuten, die über Leben und Lebensqualität des Neugeborenen und der Mutter entscheiden – als Anästhesistin erlebe ich das nahezu täglich. Die Geburtenzahlen sinken, das Fachpersonal fehlt, die Qualitätsstandards steigen und nicht zuletzt bedingt durch das höhere Durchschnittsalter der werdenden Mütter liegt die Zahl der mit mindestens einem Risiko behafteten Schwangerschaften bei 70 %.
Das ungeborene Kind hat keine Wahlmöglichkeiten und fordert – so würde ich dessen mutmaßlichen Willen interpretieren – seine optimale Versorgung peripartal. Aus dieser unterstellten Forderung ergibt sich aber nicht automatisch, dass das Alles in unmittelbarer Wohnortnähe vorzuhalten ist.
In Schleswig-Holstein sind die Wege weiter, aber nicht weit. Für die meisten Frauen – Inselbewohnerinnen ausgenommen – ist eine Geburtsklinik in weniger als 45 Minuten erreichbar. Schleswig-Holstein liegt mit 1,57 % geplanten und ungeplanten ausserklinischen Geburten unter dem Bundesdurchschnitt. Analysen zeigen ausserdem, dass die Entfernung zur nächstgelegenen geburtshilflichen Abteilung weder das einzige, noch das wesentliche Kriterium für die Auswahl der Geburtsklinik ist. Viele Frauen bevorzugen aus Sicherheitsgründen längst größere Zentren gegenüber kleineren Standorten.
Die Ärztekammer Schleswig-Holstein sieht es deshalb als gerechtfertigt an, sich eine politisch transparent kommuniziert gestaltete, nachvollziehbar geplante und geordnet geregelte Zentralisierung qualifizierter Versorgungsangebote für Mutter und Kind zu wünschen. Dem Fachkräftemangel würde ebenfalls eine sinnvolle Bündelung des Angebots konsekutiv entgegenwirken.
Das Fazit der Ärztekammer Schleswig-Holstein lautet: qualitativ hochwertige Geburtshilfe in Zentren mit adäquater personeller Besetzung statt Gefährdung von Mutter und Kind in kleinen schlecht ausgestatteten Kliniken direkt vor der Haustür. Dafür braucht es ein tragfähiges Konzept, das in ganz Schleswig-Holstein umgesetzt wird.“