Telenotarzt
15. September 2023
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Rettungsdienst-Reform: Experten sehen Licht und Schatten

Die Bundesregierung hat kürzlich Reformpläne für das Rettungswesen veröffentlicht. Unter anderem sollen Notfallsanitäter mehr Befugnisse erhalten und die einzelnen Akteure sollen besser vernetzt werden.

Prof. Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und Dr. Florian Reifferscheid, Mitglied in der Kammerversammlung und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft in Norddeutschland tätiger Notärzte, sehen in der Reform „Licht und Schatten“.

„Die Reformvorschläge zum Rettungsdienst sind ein Schritt in die richtige Richtung und zeigen einige Ansätze, die wir begrüßen. Es ist richtig, dass sich der Rettungsdienst von der reinen Transportleistung hin zu einem eigenständigen medizinischen Leistungssegment entwickeln soll. Ebenso ist eine sektorenübergreifende, digitale Vernetzung unabdingbar. Diese muss aber systemunabhängig verfügbar sein und über interoperable, verlässliche Schnittschnellen verfügen“, so der Kammerpräsident.

Auch Dr. Florian Reifferscheid sieht positive Aspekte in der Reform: „Der geplante Ausbau der Luftrettung, insbesondere die Ausweitung der Landemöglichkeiten und des Nachtbetriebs sind seit langem überfällig. Auch die Schaffung eines Echtzeit-Registers und die Verbesserung der Analyse sektorenübergreifender Routinedaten für Zwecke der Qualitätssicherung, aber auch für die Versorgungsforschung sind sinnvoll. Voraussetzung ist, dass einheitliche Schnittstellen sowie hersteller- und betreiberunabhängige Interoperabilität sichergestellt sind.“

Kritisch sehen beide medizinischen Experten die angedachten, deutlich ausgeweiteten Befugnisse von Notfallsanitäterinnen und -sanitätern und der Schaffung weiterer Qualifikationsstufen wie Paramedic und Advanced Care Paramedic. „Wir verzeichnen bereits heute auch im Bereich der Notfallsanitäter einen starken Fachkräftemangel. Das war schon Grund dafür, dass in einzelnen Bundesländern bspw. auf dem Notarzteinsatzfahrzeug das Qualifikationsniveau statt eines Notfallsanitäters auf einen Rettungssanitäter herabgesetzt wurde, was eine erhebliche Schwächung der Teams bedeuten kann. Auch die Einführung von Notfalltransportwagen mit der Besetzung von zwei Rettungssanitätern wurde aufgrund des Mangels an Notfallsanitätern eingeführt. Durch bundesweit einheitliche Definition der Kompetenzen von Notfallsanitätern im Sinne des Pyramidenprozesses, kann das Berufsbild attraktiver gestaltet und eine Entlastung des Rettungsdienstes erreicht werden“, sagt Reifferscheid.

Auch Herrmann sieht die Substitution von Notärzten als widersinnig an: „Die Belastung der Notfallressourcen erfolgt besonders im sogenannten Low-Code-Bereich und weniger im Bereich der komplexen, vitalbedrohlichen Notfälle. Besonders mit Beginn des Herbstes sind die Einsatzkräfte nicht selten zu Patienten mit Husten und Schnupfen unterwegs. Was wir brauchen, sind mehr Notfallsanitäter. Wir dürfen aber die vorhandenen Notfallsanitäter nicht mit noch mehr Aufgaben belasten und deren Ausfall provozieren.“

Außerdem befürchtet der Ärztekammerpräsident, dass, wenn Notärzte ausschließlich per Hubschrauber oder Telemedizin zum Einsatz kommen, deren Qualifizierung und geforderte Spezialisierung dramatisch erschwert werden, da die prähospitale Notfallversorgung nicht vollumfänglich im Krankenhaus oder im ambulanten Bereich erlernt oder aufgefrischt werden kann.

Entlastung des Rettungsdienstes durch neue Versorgungsangebote
Um Notärzten den Rücken für lebensrettende Einsätze freizuhalten und Kosten im Rettungswesen zu senken, befürworten Herrmann und Reifferscheid ausgeweitete Versorgungsangebote. „Die Pilotprojekte mit sogenannten Gemeindenotfallsanitätern sind gut angelaufen. Notfallsanitäter mit einer Zusatzausbildung werden von der Rettungsleitstelle zu Patienten geschickt, wenn nach dem Notruf klar ist, dass zwar medizinische Hilfe notwendig ist aber keine Lebensgefahr vorliegt. Ein Modell, dass wir uns für jedes Bundesland vorstellen können. Es verbessert nicht nur die Versorgung, sondern auch die Berufszufriedenheit der Notfallmediziner.“