Frauengesundheit

Der Sozialausschuss des Schleswig-Holsteinischen Landtages beschäftigte sich in einer Sitzung im Februar mit dem Thema Frauengesundheit. Zur Anhörung war auch die Vizepräsidentin der Ärztekammer Schleswig-Holstein, Prof. Doreen Richardt, geladen worden. Im Interview mit Dirk Schnack schildert sie, warum das Thema aufgegriffen werden muss. 

Warum war es wichtig, dass der Sozialausschuss das Thema Frauengesundheit aufgegriffen hat?
Prof. Doreen Richardt: Weil Frauen in vielfacher Weise von spezifischen gesundheitlichen Herausforderungen betroffen sind, die eine gezielte medizinische Versorgung und gesundheitspolitische Maßnahmen erfordern. Auf politischer Ebene gibt es Förderprogramme, außerdem viele gute und detailliert durchdachte Ideen, die aber bisher nicht in der Versorgung angekommen sind. Frauen sind auch heute noch benachteiligt, es kommt zu Fehldiagnosen und Therapieverzögerungen mit möglichen Folgeschäden.

Können Sie das konkretisieren? 
Richardt: Frauen landen verspätet in der Notaufnahme, im Herzkatheterlabor und auf dem OP-Tisch. Frauen haben seltener einen Herzinfarkt, aber sie sterben häufiger daran. Sie werden kürzer reanimiert, sie spenden häufiger ein Herz, erhalten aber seltener eines transplantiert. Frauen bekommen Medikamente häufig in zu hoher Dosierung, allerdings seltener Schmerzmittel und stattdessen Psychopharmaka. Auch in der Forschung werden sie kaum berücksichtigt und die Dosierung der Medikamente ist oft nicht angepasst. Hochproblematisch ist auch die Versorgung von Frauen mit Behinderungen – diese Probleme wurden im Sozialausschuss sehr deutlich angesprochen.  

Was muss passieren, damit sich das ändert?
Richardt: Wir brauchen den Einstieg in eine individualisierte Versorgung und müssen hinterfragen, inwiefern zum Beispiel evidenzbasierte Leitlinien weiter für alle Menschen verbessert werden können. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzteschaft, Politik und anderen Akteuren im Gesundheitswesen ist erforderlich, damit die Gesundheitsversorgung von Frauen verbessert wird und wir geschlechtsspezifische Ungleichheiten abbauen können. Zugleich müssen wir die Gesundheitskompetenz von Frauen fördern, um eine selbstbestimmte und informierte Entscheidung über die eigene Gesundheit zu ermöglichen. Verbesserungsbedarf sehen wir in zahlreichen Bereichen, angefangen von der Sexualaufklärung über Ernährung und Bewegung, Wechseljahre bis zu Osteoporose und psychische Gesundheit. Für diese und zahlreiche weitere Bereiche ist in der Versorgungsrealität von Arztpraxen und Krankenhäusern viel zu wenig Zeit.


Podcast des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblattes
Staffel 5 - Folge 6

Ein provokanter Titel für eine Veranstaltungsreihe – was dahinter steckt und was die Landfrauen damit zu tun haben, verrät die Vizepräsidentin der Ärztekammer, Dr. Gisa Andresen.


Ein besonderes Thema ist die Gesundheit von Migrantinnen, auch das haben Sie im Ausschuss angesprochen. Warum?
Richardt: Weil wir es bei Frauen mit Migrationshintergrund häufig mit Sprachbarrieren und anderen kulturellen Vorstellungen zu tun haben, die zu massiven Defiziten bis hin zur Ablehnung von sinnvollen Therapien führen. Oft erleben wir auch nicht aufklärbare Ängste bei diesen Patientinnen. Hier erscheinen mehrsprachige Informationskampagnen vom Kindergarten bis in die Postmenopause sinnvoll. Viele ältere Frauen mit Migrationshintergrund wissen z.B. nicht, dass ihr Risiko für Krebserkrankungen steigt und man deshalb weiter zu gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen gehen sollte. Viele Frauen machen das nicht, weil sie denken, „sie seien durch mit dem Thema“.

Wie könnte man die Zielgruppe „Frau“ erreichen?
Richardt: Es sollten niedrigschwellige und digitale Informationsangebote zur Frauengesundheit angeboten werden, insbesondere um sozial benachteiligte Gruppen zu erreichen. Informationsbroschüren und Internetseiten sollten in zahlreichen Landessprachen übersetzt sein und es sollte mehr Möglichkeiten geben, Patientinnen Informationen in anderen Sprachen zur Verfügung zu stellen. Auch digitale Formate für die medizinische Versorgung gilt es auszubauen. Es gibt zum Beispiel eine erfolgreiche DIGA „Pink“ für Brustkrebs mit Informationen und Möglichkeiten, sich mit anderen zu verbinden/auszutauschen; das kann man sicherlich für viele weitere Situationen übernehmen. Es sollten seriöse Informationen über Schwangerschaft, Schwangerschaftsvorsorge bzw. Schwangerschaftsabbruch als App zur Verfügung gestellt werden. Es gibt viele kursierende Fehlinformationen z.B. in sozialen Medien, die völlig falsche Vorstellungen hervorrufen. Zudem gilt es in unseren Augen, die Hebammenversorgung zu verbessern. Häufig haben gerade Patientinnen in schlechten sozioökonomischen Verhältnissen Sprachbarrieren und keine Hebamme.

Sie haben auch das Thema Gewalt gegen Frauen angesprochen. Warum gehört das in diesen Kontext?
Richardt: Gewalt gegen Frauen ist ein gravierendes gesundheitliches und gesellschaftliches Problem und Ärztinnen und Ärzte spielen eine entscheidende Rolle bei der Erkennung und Versorgung betroffener Frauen. Sie sind häufig die erste und einzige Anlaufstelle für Betroffene. Der soziokulturelle Hintergrund wird hier sicherlich eine zunehmend prominente Stellung einnehmen. Beispielsweise hatten fast alle verletzten Frauen, vor allem mit Migrationshintergrund, die in chirurgischen Ambulanzen behandelt wurden, einen „Unfall“ – meist „Treppensturz“ o.ä., obwohl dies aus ärztlicher Sicht bezweifelt werden durfte. Die wenigen, die häusliche Gewalt als Ursache zugaben, waren in der Regel nicht bereit, konkrete Schritte wie etwa eine Anzeige oder Frauenhaus mitzugehen.

Sind Hausarztpraxen bei diesem Thema nicht überfordert?
Richardt: Bei häuslicher Gewalt kann das passieren, gerade wenn die Patientin keine rechtsmedizinische Ambulanz aufsuchen möchte und der Täter auch als Patient in der jeweiligen Praxis geführt wird. Es bleibt weiterhin schwierig, z.B. bei Vergewaltigungen Befunde gerichtsfest zu dokumentieren, ohne die Polizei einzuschalten. Die Hürde, dafür extra in die Rechtsmedizin zu gehen, ist für viele Patientinnen hoch. In den Notaufnahmen müssen sie teilweise ohne Polizei länger warten, weil andere Patientinnen dringender triagiert werden. Als Ärztin oder Arzt hat man da nicht wirklich die Chance, die Patientin z.B. psychologisch akut betreuen zu lassen.

Was könnte helfen, welche Schritte sollten konkret eingeleitet werden?
Richardt: Es gibt eine Berliner Initiative (S.I.G.N.A.L.), die versucht, eine rechtssichere Dokumentation sicherzustellen. Leider ist diese so umfangreich, dass sie nicht so nebenbei in der Notaufnahme oder Sprechstunde gelingt. Hier eine bessere Aufklärung und Hilfestellungen zu gewährleisten, wäre wichtig. Hausärzte haben bereits den Vorschlag gemacht, dass geschulte Profis, die diese Aufgabe leisten, in Anlaufpraxen sitzen und dafür bezahlt werden. Ob dieses Angebot dann niederschwelliger ist, als das Aufsuchen der Klinikambulanz, sei dahingestellt, hätte aber den Vorteil, dass die/der behandelnde Arzt nicht zwischen die Fronten gerät, wenn der Täter z.B. ebenfalls Patient in der Hausarztpraxis ist. Wir brauchen verbindliche Schulungen für medizinisches Fachpersonal zur Erkennung von Gewaltopfern und zur Einleitung geeigneter Maßnahmen. Außerdem den Ausbau spezialisierter Anlaufstellen in Kliniken und Praxen, um betroffenen Frauen eine geschützte und kompetente Versorgung zu gewährleisten und eine enge Zusammenarbeit mit Beratungsstellen, Justiz und Polizei, um Opfern eine umfassende Unterstützung zu bieten.

Sie haben im Ausschuss auch einen Bogen zur ärztlichen Weiterbildung geschlagen. Wo ist der Zusammenhang zur Frauengesundheit?
Richardt: Eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung von Frauen setzt eine fundierte Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte voraus. Fast jede Universität hat gendersensible Vorlesungen im Programm. Die gendersensible Weiterbildung als fertige Ärztin oder Arzt ist dagegen extrem von den Weiterbildungsbefugten abhängig. Mit Blick auf die Krankenhausreform wird deutlich, dass wir vermehrt Weiterbildungsverbünde brauchen, weil selbst Maximalversorger nicht mehr alles weiterbilden werden können und damit in vielen Fachgebieten nicht mehr die volle Weiterbildungsbefugnis bekommen können. Darin liegt in meinen Augen auch eine Chance für eine strukturierte und zügigere Weiterbildung und die Reduzierung von Abhängigkeitsverhältnissen. Bei den Weiterbildungsverbünden dürfte vor allem die Finanzierung im ambulanten Bereich ein großes Problem darstellen, aber auch im stationären Bereich wird die Finanzierung der Weiterbildung bisher nicht abgebildet, sondern läuft im besten Falle mit. Gerade für die Sensibilisierung für gendersensible Themen wird aber Zeit benötigt.

Wen sehen Sie gefordert, damit Frauengesundheit gestärkt wird?
Richardt: Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die ein gemeinsames Engagement aller Akteure erfordert – von der Politik über das Gesundheitswesen bis zur Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Nur durch koordinierte Maßnahmen, bedarfsgerechte Versorgungsstrukturen und eine gezielte Gesundheitsprävention können wir die gesundheitlichen Herausforderungen von Frauen in Schleswig-Holstein nachhaltig verbessern. Wir appellieren daher an den Schleswig-Holsteinischen Landtag, die gesundheitliche Chancengleichheit entschlossen zu fördern und gemeinsam mit allen Beteiligten die notwendigen Rahmenbedingungen für eine geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung zu schaffen. Als Ärztekammer stehen wir für diesen Dialog zur Verfügung.

Vielen Dank für das Gespräch.