Praxen-Kollaps: Warnung der KVen und Verbände
Wenn sich nicht schnellstens etwas ändert, bricht die ambulante Versorgung zusammen und wir werden unseren Sicherstellungsauftrag nicht mehr erfüllen können: Mit diesem dramatischen Appell wandten sich die 17 KVen in Deutschland im August in gleichlautenden Mitteilungen an die Öffentlichkeit. Damit begleiteten sie die Finanzierungsverhandlungen, die am 9. August auf Bundesebene begonnen hatten.
Zugleich machten sie damit schon im Vorfeld auf eine gemeinsame Krisensitzung der Vertreterversammlungen aller KVen gemeinsam mit der KBV am 18. August aufmerksam. In beiden Fällen ging es um die angespannte Situation im niedergelassenen Bereich, die nach Beschreibung ihrer wichtigsten Institutionen zunehmend dramatisch wird. Zugleich haben sie das Gefühl, dass sich die Gesundheitspolitik in den vergangenen Jahren immer stärker auf den stationären Sektor konzentriert und die Probleme in den Praxen kaum noch Gehör finden.
Die KBV-Vertreterversammlung hatte am 18. August einstimmig sieben Forderungen an die Politik formuliert:
- Tragfähige Finanzierung: Retten Sie die Praxen aus den faktischen Minusrunden und sorgen Sie für eine tragfähige Finanzierung, die auch in der ambulanten Gesundheitsversorgung insbesondere Inflation und Kostensteigerungen unmittelbar berücksichtigt!
- Abschaffung der Budgets: Beenden Sie die Budgetierung, damit auch Praxen endlich für alle Leistungen bezahlt werden, die sie tagtäglich erbringen.
- Ambulantisierung: Setzen Sie die angekündigte Ambulantisierung jetzt um – mit gleichen Spielregeln für Krankenhäuser und Praxen.
- Sinnvolle Digitalisierung: Lösen Sie mit der Digitalisierung bestehende Versorgungsprobleme. Sorgen Sie für nutzerfreundliche und funktionstüchtige Technik sowie die entsprechende Finanzierung, und belassen Sie die datengestützte Patientensteuerung in ärztlichen und psychotherapeutischen Händen.
- Mehr Weiterbildung in Praxen: Stärken Sie die ärztliche und psychotherapeutische Weiterbildung! Diese muss – um medizinisch und technisch auf dem aktuellen Stand zu sein – schwerpunktmäßig ambulant stattfinden. Beziehen Sie auch hier die niedergelassene Vertragsärzte- und -psychotherapeutenschaft mit ein!
- Weniger Bürokratie: Schnüren Sie das angekündigte Bürokratieabbaupaket, damit wieder die Medizin im Vordergrund steht und nicht der „Papierkram“.
- Keine Regresse: Schaffen Sie die medizinisch unsinnigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen ab! Die Arzneimittelregresse müssen weg!
Der Forderungskatalog war anschließend Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) mit der Erwartung übermittelt worden, bis 13. September Stellung zu beziehen.
Vorab hatten die KVen die Situation in der ambulanten Versorgung bereits in dramatischen Worten beschrieben – was zumindest in Schleswig-Holstein auch von vielen Medien aufgegriffen wurde. „Die Niederlassung wird immer unattraktiver, die Suche nach Praxisnachfolgern gestaltet sich zunehmend schwieriger und die Praxen haben immer größere Probleme, offene Stellen zu besetzen. Eine unzureichende Finanzierung des ambulanten Bereichs, der Trend zur Anstellung und der demografische Wandel lassen die Versorgungslücken immer größer werden“, hieß es zum Beispiel. Zu den gewählten Themen, mit denen auf die Probleme im ambulanten Bereich hingewiesen wurde, zählte auch der Fachkräftemangel. Der Personalmangel habe sich in den vergangenen Jahren zu einem großen Problem in den Praxen entwickelt. In der Mitteilung heißt es dazu weiter: „Immer mehr Medizinische Fachangestellte (MFA) wandern in andere Bereiche des Gesundheitswesens, wie Kliniken, Krankenkassen und Behörden, ab, wo höhere Gehälter gezahlt werden, oder wechseln ganz den Beruf. Freie Stellen in den Praxen bleiben unbesetzt. Die Tätigkeiten der fehlenden MFA müssen durch fachfremdes Personal oder die Ärzte selbst übernommen werden.“
Ein weiterer Punkt, den die KVen ansprachen, ist die von ihnen vermisste politische Unterstützung und Wertschätzung. Die „desaströse Sparpolitik im Gesundheitswesen“ trage zum Fachkräftemangel bei, ebenso wie gedeckelte Vergütung, ständig neue gesetzliche Regularien, eine überholte Bedarfsplanung und überbordende Bürokratie. Eine der von den KVen befürchtete Folgen dieser Probleme: „Um den Betrieb in den Praxen und Medizinischen Versorgungszentren weiterhin aufrechterhalten zu können, werden reduzierte Öffnungszeiten und gegebenenfalls Leistungskürzungen kaum zu vermeiden sein.“
Als weitere Folge beschreiben die KVen ein sinkendes Interesse an einer Niederlassung, insbesondere im ländlichen Bereich. Diese Entwicklung wird sich auch nach Befürchtung der KVSH verschärfen, wenn nicht gegengesteuert wird. „Der Bedarf an ärztlichen Leistungen wird stark zunehmen, eine altersgerechte ärztliche Versorgung unter diesen Umständen ist fraglich“, heißt es in der Mitteilung. „Den Kolleginnen und Kollegen fehlen die Anreize, um den Schritt in die Selbstständigkeit zu gehen und unternehmerische Verantwortung zu übernehmen“, sagte Schleswig-Holsteins KV-Chefin Dr. Monika Schliffke hierzu.
Die KVen forderten, dass sich die Politik mit der ambulanten Versorgung und deren Bedürfnissen auseinandersetzt und zum Beispiel eine Entbudgetierung beschließt. Zudem werde die Weiterbildung von Ärzten immer noch aus dem ärztlichen Honorar bezahlt, obwohl dies eine gesellschaftliche Aufgabe sei. Auch die „Wettbewerbsverzerrung durch unterschiedliche Vergütungsanpassungen“ müsse ein Ende haben.
Auch andere Verbände aus dem ambulanten Gesundheitswesen hatten die Probleme öffentlich beschrieben. In Schleswig-Holstein hatten Vertreter aus ärztlichen und zahnärztlichen Institutionen und aus der Apothekerschaft gemeinsam in einem Positionspapier formuliert, was sich aus ihrer Sicht ändern müsste. Verfasst wurde es vom gesundheitspolitischen Arbeitskreis der Mittelstands- und Wirtschaftsunion Schleswig-Holstein. Neben dessen Vorsitzenden, Zahnarzt Hans-Peter Küchenmeister, haben an dem Papier KV-Vorstandsmitglied Dr. rer.nat. Ralph Ennenbach, die Vorsitzenden der Ärztegenossenschaft (Dr. Svante Gehring und Dr. Axel Schroeder), die Präsidenten der Zahnärztekammer (Dr. Michael Brandt) und der Apothekerkammer (Dr. Kai Christiansen), der Landesvorsitze des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte (Dr. Roland Kaden) und der Vorsitzende des Apothekerverbandes (Hans-Günter Lund) mitgewirkt.
Einig waren sie sich darin, dass Bundesgesundheitsminister Lauterbach (SPD) handeln muss: „Die ambulant Tätigen fühlen sich von der Politik nicht wahrgenommen, übergangen und nicht wertgeschätzt“, heißt es unter anderem in dem Positionspapier.
Darin stellen die Autoren nicht nur Forderungen, sondern beschreiben auch, weshalb aus ihrer Sicht ein klares Bekenntnis zur ambulanten Versorgung und Verständnis für Freiberuflichkeit und Selbstständigkeit erforderlich ist. Sie verweisen darauf, dass Praxen und Apotheken erste niedrigschwellige Anlaufstellen für Patienten sind, dass sie Therapiefreiheit und Weisungsunabhängigkeit bieten und dass ihre Arbeit wie „starker sozialer Kitt“ wirkt. „Die Compliance zwischen Patienten und Arzt ist am höchsten, wenn eine persönliche und unmittelbare Bindung besteht“, schreiben sie. Ambulante Versorgung sei mehr als ein Begriff, sondern „Symbol für Fürsorge und Engagement“ und eine „Haltung, die auf die Bedürfnisse der Patienten eingeht“.
Dirk Schnack