Klima: Sensibilität erhöhen
Die Auswirkungen der globalen Erderwärmung erleben wir täglich. Schon lange geht es nicht mehr um die Verhinderung der Klimakatastrophe, sondern nur noch um Schadensbegrenzung und das Ausloten von Maßnahmen, um die Folgen der globalen Erderwärmung abzumildern.
„Unsere Generation hat die Bedeutung des Klimawandels zwar erkannt, es aber nicht rechtzeitig geschafft, diesen erfolgreich zu stoppen“, sagte Dr. Christian Grah, leitender Arzt Pneumologie und Lungenkrebszentrum am Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe in Berlin. Grah informierte während einer Sitzung des Qualitätszirkels Klima und Gesundheit des Ärztenetzes Eutin/Malente per Onlinesitzung über die Auswirkungen und möglichen Einflussnahmen auf den Klimawandel durch die Verordnung von Inhalativa.
Bei der Behandlung von chronischen Atemwegserkrankungen wie Asthma bronchiale und der chronischen obstruktiven Bronchitis (COPD) kommen in der Behandlung die inhalativen Arzneimittel zum Einsatz. Im Wesentlichen wird zwischen Dosieraerosolen (DA) und Pulverinhalatoren (= dry powder inhaler, DPI) unterschieden. Bei den Dosieraerosolen wird der Wirkstoff mithilfe von Treibmitteln in die tieferen Lungenabschnitte transportiert, bei Pulverinhalatoren wird der Wirkstoff in Pulverform verabreicht, der mit einem ausreichend kräftigen Atemzug in die Lungen gelangt. Die Hydrofluoroalkane (Flurane), die bei der Nutzung der DA benötigt werden, schädigen zwar die Ozonschicht nicht direkt, sind aber starke Treibhausgase und haben so unmittelbar Einfluss auf den Klimawandel.
Ein Blick in das Greenhouse Gas Protocol (GHG) zeigt den Einsatz von Dosierinhalatoren im Bereich des Scope 3, der die vorgelagerten Aktivitäten beschreibt. Das 1998 entwickelte Greenhouse Gas Protocol bietet einen weltweit standardisierten Referenzrahmen für die Messung und Kontrolle von Treibhausgasemissionen aus dem privaten und öffentlichen Sektor, Wertschöpfungsketten und Maßnahmen zur Emissionsreduzierung. Gemäß dem Corporate Standard des GHG-Protokolls werden die Treibhausgasemissionen eines Unternehmens in drei Kategorien, die sogenannten Scopes, unterteilt. Die Scopes 1 und 2 sind berichtspflichtig, während Scope 3 auf freiwilliger Basis erfolgt und am schwierigsten zu überwachen ist.
Um die Auswirkungen der Inhalatoren auf die Umwelt künftig mindern zu können, plädierte Grah dafür, den Einsatz von Dosieraerosolen häufiger infrage zu stellen. „Vergleichen wir den CO2-Fußabdruck der eingesetzten Inhalatoren, so wird schnell deutlich, dass DA mit den Faktoren 10–37 (10–25 kg CO2e, 37 kg CO2e) gerechnet werden müssen, DPI dagegen nur mit dem Faktor 1 (1 kg CO2e). Das allein sollte als Anreiz ausreichen, über jeden Einsatz von Dosieraerosolen nachzudenken“, so Grah.
Nach seinen Angaben sind in 80 % der Fälle von Notsituationen Pulverinhalatoren ausreichend. Er empfahl, bei der Verordnung stets darauf zu achten, ob der Patient in einer Notsituation in der Lage ist, die Kraft für einen großen Atemzug aufzubringen oder nicht. „Eine Verallgemeinerung kann nicht getätigt werden, sprechen Sie mit ihrem Patienten und wägen Sie gemeinsam ab“, sagte Grah. Anne Schluck, niedergelassene Internistin in Eutin und 1. Vorsitzende des Ärztenetzes Eutin/Malente, berichtete von einer 18-jährigen Patientin, die an Asthma bronchiale leidet. Schluck sprach die Patientin auf den CO2-Fußabdruck von Dosieraerosolen an und erfuhr seitens der Patientin eine positive Rückmeldung. „Die Patientin lebt sehr klimabewusst und war von der Erkenntnis der Umweltauswirkungen von Dosieraerosolen geschockt“, so Schluck. Da die Patientin neu in der Praxis war, war sich Schluck aber unsicher, welcher Weg der richtige ist. Gemeinsam mit der Patientin entschied sie sich für den Einsatz eines Pulverinhalators, da die Patientin laut eigener Aussage auch in Notsituationen in der Lage ist, einen ausreichend starken Atemzug zu tätigen.
Auch die Entsorgung der leeren Dosieraerosolen hat große Auswirkung auf die Umwelt. „Viele DA sind erstens noch gar nicht ganz leer und werden zweitens im Hausmüll entsorgt. Eine Katastrophe für die Umwelt“, sagte Grah. Daher sollte bereits bei der Verordnung der Inhalativa der Patient darüber aufgeklärt werden, die DAs im Sondermüll zu entsorgen oder in der Apotheke abzugeben.
Mehr Informationen zum Thema bietet die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin e.V., die im März 2022 die Handlungsempfehlung „Klimabewusste Verordnung von inhalativen Arzneimitteln“ veröffentlicht hat. In der Empfehlung werden konkrete Entscheidungshilfen ausgesprochen, die Unterschiede zwischen Dosieraerosol und Pulverinhalation erläutert und Empfehlungen zu Einsparmöglichkeiten des CO2-Verbrauchs verdeutlicht. Einzusehen ist die Handlungsempfehlung auf der Homepage der Fachgesellschaft unter www.degam.de.
QZ Klima und Gesundheit
Der Qualitätszirkel Klima und Gesundheit tagt regelmäßig zu verschiedenen Themen, immer wechselnd online oder vor Ort in Eutin. Nächster Termin ist der 13. Juni 2023 zum Thema „Klimapsychologie“. Bei Interesse melden Sie sich bei der Geschäftsführung des Ärztenetzes, Nadine Scheibe und Helga Schilk, unter 04521 8308 505 oder per Mail scheibe@aerztenetz-eutin.de und schilk@goeh-gmbh.de. Auf der Homepage des Ärztenetzes finden Sie den Vortrag von Dr. Grah zusätzlich als Videoaufzeichnung: http://www.aerztenetz-Eutin-Malente.de
Astrid Schock