Lebendige Standespolitik

Lebendige Standespolitik

Das Für und Wider zur Aufhebung der Isolationspflicht – ein Thema, das im November Politik und die breite Öffentlichkeit beschäftigte – sorgte auch in der Kammerversammlung am 23. November noch einmal für eine angeregte Diskussion. Die Argumente der Delegierten waren geprägt von der Sorge um das Patientenwohl, um die Gesundheit der versorgenden Kolleginnen und Kollegen und die Aufrechterhaltung der Patientenversorgung. Die Probleme vor Ort konnten in Schleswig-Holstein zum Teil zumindest reduziert werden, weil Kliniken, niedergelassene Ärzte und Öffentlicher Gesundheitsdienst (ÖGD) gemeinsam nach Lösungen suchten. Auch wenn solche Gespräche wie etwa in Ostholstein oder Lübeck längst nicht jedes Problem lösen konnten, zeigten sich Delegierte wie Anne Schluck (Eutin) oder Vorstandsmitglied Prof. Doreen Richardt (Lübeck) – die von solchen Beispielen berichteten – überzeugt davon, dass der intersektorale Austausch nur Vorteile mit sich bringt. Wie vielfältig die Themen waren, die die Ärzteschaft im Land seit der nur zwei Monate zurückliegenden Septemberversammlung beschäftigen, zeigten auch die Wortmeldungen etwa von Annett Schmidt (Ratzeburg) zum Thema Rationierung und Priorisierung oder von Hans-Henning Harden (Elmshorn) zum Thema Steuern auf gesundheitsschädliche Produkte. 

Die Vielfältigkeit bildete sich auch im Bericht von Präsident Prof. Henrik Herrmann ab. Einer seiner Punkte: Die zahlreichen Veränderungsprozesse, vor denen das Gesundheitswesen steht. „Ein „Weiter so“ ist nicht möglich und kann auch nicht durchgehalten werden“, stellte Herrmann klar. Was er vermisst, ist ein Konzept der politischen Entscheidungsträger, die sich nach seiner Wahrnehmung im „Klein-Klein“ und halbherzigen Versprechen verlieren. Seine Kritikpunkte u. a.:

  • Kein Ansatz für eine Bündelung der ärztlichen Ressourcen 
  • Keine Idee für eine Überwindung der Sektoren
  • Keine Strategie zur Veränderung des finanziellen Systems im Gesundheitswesen
  • Keine realen Verbesserungen bei der Situation des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
  • Stillstand bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens.

Bei der Politik steht nach seiner Wahrnehmung eine Veränderung des Gesundheitswesens nicht auf der Agenda. „Wir können uns als Ärztinnen und Ärzte und als ärztliche Selbstverwaltung nur immer wieder in diese politische Diskussion einbringen und unsere klare Vorstellung von der Weiterentwicklung äußern“, sagte Herrmann. Er riet dazu, beharrende Positionen zu verlassen und Lösungen anzubieten, die zu einer Neuverteilung der Aufgaben, zu einem zielgerichteten Ressourceneinsatz, zu einer verbesserten Gesundheitskompetenz der Bevölkerung und damit zu einer veränderten Versorgung führen. Herrmann: „Diesen Mut müssen wir aufbringen, auch wenn es an der einen oder anderen Stelle weh tun wird.“

Die Kammerversammlung hatte Diskussion und Positionierung zu solchen Themen von der Körperschaft in dieser Legislaturperiode ausdrücklich gefordert und selten war die Ärztekammer zu politischen Themen so präsent in der Öffentlichkeit – nur einer von mehreren Punkten, die zeigen, welchen Einfluss die Kammerdelegierten nehmen. Dennoch ist eine große Auswahl an Bewerbern für die Delegiertenposten in der Kammerversammlung eher selten. Wie kann es gelingen, Ärztinnen und Ärzte für eine Bewerbung um ein Mandat in der Kammerversammlung zu motivieren? Und wie dazu, sich an der digitalen Wahl zu beteiligen? Nicole Brandstetter, PR-Beraterin der Ärztekammer, stellte hierzu die aktuelle Aktivierungs- und Informationskampagne vor. Die Kammerdelegierten waren sich einig, dass der Weg, zunächst zur Bewerbung und dann zur Wahlbeteiligung aufzurufen, richtig ist. Pro und Contra tauschten sich die Delegierten zur Frage aus, wer öffentlich dazu aufrufen sollte, sich als Bewerber zur Verfügung zu stellen: Nur Ärztinnen und Ärzte, die nicht für die nächste Kammerversammlung kandidieren oder gerade diese Gruppe? Petra Struve (Rendsburg) befürchtet, dass es die Wahl beeinflussen könnte, wenn auch Kandidierende als Botschafter auftreten – ein Argument, das einige Delegierte teilten, aber nicht mehrheitlich. 

In der Abstimmung entschied sich die Kammerversammlung mit Zweidrittelmehrheit dafür, dass auch erneut kandidierende Kammerdelegierte dazu aufrufen können, sich zur Wahl zu stellen. Erste Motive mit Kammerdelegierten aus der Kampagne sind im aktuellen Heft zu finden. Diese Kampagne läuft, bis die Bewerbungsphase abschließt und die Wahl beginnt. Bei den dann anschließenden Aufrufen zur Wahlbeteiligung ist die Einbindung solcher Kandidatinnen und Kandidaten ausgeschlossen. Herrmann dazu: „Uns bedeutet eine möglichst hohe Wahlbeteiligung viel, denn wir wählen unser Parlament und damit den Satzungsgeber. Ein gut legitimiertes Parlament in diesen volatilen und vulnerablen Zeiten ist von hohem Wert.“  

Die Abstimmung zu diesem Thema fand geheim statt. Seit die Kammerversammlung im neuen Sitzungssaal der Kassenärztlichen Vereinigung tagt, wird elektronisch abgestimmt. Zunächst wurden dabei – für alle auf dem großen Bildschirm sichtbar – die Namen der Abstimmenden und deren Entscheidung eingeblendet. Dr. Norbert Jaeger (Kiel) warf die Frage auf, ob nicht grundsätzlich geheim abgestimmt werden sollte – elektronisch sei dies einfacher und weniger zeitaufwendig. Andere Delegierte wie Dr. Vera Meyer (Wedel) und Dr. André Kröncke (Pogeez) oder Vorstandsmitglied Dr. Sabine Reinhold (Kiel) halten das nicht für erforderlich. „Jeder ist alt genug, seine Meinung zu vertreten“, sagte Reinhold. Jurist Carsten Heppner wird den Antrag Jägers prüfen. Bis dahin gilt: Wenn ein Mitglied der Kammerversammlung geheime Abstimmung wünscht, wird so verfahren.     

Neben der Wahl und politischen Themen bestimmten wie immer Kernaufgaben der Ärztekammer die Versammlung. Für die Weiterbildungsordnung stellte Abteilungsleiterin Manuela Brammer eine Satzungsänderung für den Fall vor, dass die Allgemeinmedizin als zweite Facharztbezeichnung erworben wird. Zur bestehenden Einzelfallprüfung soll eine Alternative geboten werden, über die in der nächsten Kammerversammlung im März abgestimmt wird. Folgen die Delegierten dem Vorschlag, wird die Weiterbildung 30 Monate dauern, die in der hausärztlichen Versorgung stattfindet. Davon können 6 Monate in anderen Gebieten der unmittelbaren Patientenversorgung außer dem bereits erworbenen Fachgebiet durchgeführt werden. Die Diskussion zeigte zwar auch Bedenken der Delegierten, aber eine deutliche Tendenz zur Zustimmung.

Weitere Themen: 

  • Berufsordnung: Dr. Svante Gehring (Norderstedt) gab einen Überblick über die Themen, die vom Ausschuss bearbeitet wurden. Diese reichten von Freiberuflichkeit versus Ökonomisierung über Sterbehilfe bis zum Thema Organspende. Die Ergebnisse waren unterschiedlich, zum Teil sehr konkret. Drei Beispiele: Beim Thema Sterbehilfe gab es eine Modifizierung der Berufsordnung. Zum Thema Leichenschau wird inzwischen eine qualifizierende Fortbildung in der Akademie gemeinsam mit der Polizei und dem UKSH angeboten. Zur ambulanten Ethikberatung existiert ein mit einem Preis ausgezeichnetes Projekt (siehe News-Seite).
  • Qualitätssicherung: Dr. med. habil. Thomas Schang (Nehmten) berichtete über die vielfältigen Themen dieses Ausschusses – von der Fernbehandlung über die Monopolkommission Krankenhaus bis zu Kommentaren zu Methodenpapieren des IQTIG. Ein Schwerpunkt war die Indikationsqualität und das Ringen um die Etablierung eines Verfahrens, dass die Qualität der Indikationsstellung verbessern hilft. „Es ist vorstellbar, dass durch Verwendung der Instrumente und das strukturierte Vorgehen bereits ein positiver Effekt erzielt wird“, warb Schang. Kein Verständnis hat er dagegen für Bestreben aus dem ambulanten Bereich, die Qualitätssicherung wegen des damit verbundenen Aufwands abzuschaffen – für ihn eine „road to hell“. 
  • Digitalisierung: Ein ernüchterndes Fazit zog Mark Weinhonig (Niebüll) als Vorsitzender des Ausschusses „Digitale Transformation“. Grund ist die nach seiner Auffassung herrschende Stagnation bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens. Nicht einmal eine digitale Plattform mit Zugriff für alle Heilberufe sei umgesetzt, kritisierte Weinhonig. Sein Fazit: „Frustration hat sich durch die Arbeit des Ausschusses gezogen, Lösungen haben wir keine gefunden.“ Er appellierte, digitale Lösungen auch dann zu versuchen, wenn diese nicht perfekt sind. Die Kammerdelegierten berichteten auch Positives über die Digitalisierung. Petra Struve verwies darauf, dass die im Krankenhaus eingeführten digitalen Lösungen nach ihrer Wahrnehmung durchaus Arbeitserleichterungen auch für Ärzte nach sich gezogen haben.

Dirk Schnack