Schutz für Risikogruppen
Von August bis November 2022 führten die Klinik für Infektiologie und Mikrobiologie (Leitung: Prof. Jan Rupp) und das Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie (Leitung: Prof. Alexander Katalinic) an der Universität Lübeck in Zusammenarbeit mit der Partnerfirma Homed-IQ eine Studie zur Erfassung von abgelaufenen SARS-CoV-2-Infektionen und Impftitern durch (SARS-CoV-2-Seroprävalenzstudie Schleswig-Holstein, S4H-Studie).
Ziel war es, den Anteil in der Bevölkerung Schleswig-Holsteins mit einem positiven SARS-CoV-2-Antikörpernachweis und/oder Hinweisen für eine abgelaufene Infektion zu ermitteln und hinsichtlich unterschiedlicher Merkmale (z.B. Alter, Geschlecht, Begleiterkrankungen, Impfstatus, Genesenenstatus, regionale Unterschiede) zu analysieren. Von besonderem Interesse war vor allem der Anteil der Personen in der Bevölkerung, der bislang noch keine Antikörper hat, um das Risiko für Erkrankungen bei Auftreten weiterer SARS-CoV-2-Infektionswellen abschätzen und ggf. Maßnahmen und Handlungsstrategien aus diesen Ergebnissen ableiten zu können.
Dazu wurden im Zeitraum von August bis September 2022 insgesamt 9.000 Menschen aus Schleswig-Holstein zwischen 18 und 85 Jahren postalisch zur Studienteilnahme eingeladen. Im Oktober erfolgte die Öffnung der Studie und zusätzliche Studienteilnehmer wurden über soziale Netzwerke und die Presse rekrutiert. Parallel konnten über 17 Kinderarztpraxen in Schleswig-Holstein Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 17 Jahren an der Studie teilnehmen. Die Studienteilnahme beinhaltete die Registrierung und Einwilligung, die Durchführung eines Dried-Blood-Spot(DBS)-Tests zur Bestimmung von SARS-CoV-2-Spikeprotein(S1)- und Nukleokapsid(NUC)-Antikörpern (Ak) sowie einen Fragebogen zu Impfstatus, Vorerkrankungen und demografischen Basisdaten. Insgesamt konnten 5.195 Erwachsene (60 % weiblich) und 368 Kinder und Jugendliche (49 % weiblich, 55 % 5–11 Jahre, 45 % 12–17 Jahre) in die Auswertungen eingeschlossen werden.
Von allen erwachsenen Teilnehmenden (Alter Mittelwert + SD: 50 + 15,15 Jahre) weisen 97 % S1-Antikörper als Zeichen einer abgelaufenen Infektion und/oder Impfung auf. Bei 16 % konnten NUC-Antikörper nachgewiesen werden, die nur nach einer durchgemachten Infektion mit SARS-CoV-2 gebildet werden und nur für eine relativ kurze Zeit im Serum nachweisbar bleiben (Abb. 1). Auch in der Gruppe der Ungeimpften lassen sich bei 25 % S1-Antikörper und bei 26 % NUC-Antikörper nachweisen. Ein signifikant höherer Anteil von Personen mit einem Nachweis von NUC-Antikörpern findet sich in den eher dichter besiedelten Regionen in Schleswig-Holstein (Lübeck 17 % vs. Dithmarschen 13 % und Kiel Land 11 %). Bei 98 % der Personen mit mindestens einer Impfung gegen SARS-CoV-2 lassen sich S1-Antikörper detektieren, lediglich bei 2% der Geimpften ist keine Antikörperantwort nachweisbar.
In den Angaben zur Impfung zeigt sich, dass von den Erwachsenen insgesamt 98 % mindestens einmal gegen SARS-CoV-2 geimpft sind, 93 % haben drei oder mehr Impfungen erhalten. Der höchste Anteil der drei- bis vier-fach Geimpften findet sich in der Altersgruppe der 60- bis 85-Jährigen (96 %), der niedrigste in der Altersgruppe der 30- bis 45-Jährigen (89 %). Der Anteil der Ungeimpften ist mit 3 % in der Gruppe der 30- bis 45-Jährigen am größten und in der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen (1 %) sowie 60- bis 85-Jährigen (2 %) am niedrigsten. Es lässt sich kein signifikanter Geschlechtsunterschied im Impfverhalten nachweisen, ebenso zeigt sich kein statistisch signifikanter Unterschied im Vergleich von eher städtisch mit ländlich geprägten Regionen. Von 47 % der Teilnehmenden wurden chronische Begleiterkrankungen angegeben, in dieser Risikogruppe sind über alle Altersgruppen lediglich 2 % ungeimpft. Studienteilnehmer, die in Risikohaushalten mit chronisch erkrankten Haushaltsmitgliedern leben, sind signifikant häufiger geimpft als Teilnehmende aus Haushalten ohne chronisch Erkrankte (1 % ungeimpft im Risikohaushalt vs. 3 % in Haushalten ohne chronisch kranke Haushaltsmitglieder). Hinsichtlich der Impfbereitschaft zeigt sich eine Korrelation mit dem angegebenen Bildungsstatus. So findet sich der größte Anteil an Ungeimpften (4 %) in der Gruppe der Berufsschulabsolventen verglichen mit 2 % in der Gruppe der Abiturienten.
37 % der Teilnehmenden geben an, im Rahmen der Pandemie einen positiven PCR-Befund als Korrelat einer SARS-CoV-2-Infektion erhalten zu haben, 90 % aller positiv Getesteten hatten zuletzt 2022 ein positives PCR-Ergebnis. Bei Betrachtung der Kinder und Jugendlichen (Alter: 10,7 + 3,66 Jahre) zeigt sich erwartungsgemäß ein deutlich geringerer Anteil von Studienteilnehmenden mit Nachweis von Antikörpern gegen SARS-CoV-2. Bei 74 % aller teilnehmenden Kinder und Jugendlichen sind S1-Antikörper und bei 20 % NUC-Antikörper nachweisbar. In der Altersgruppe 5–11 Jahre lassen sich trotz der niedrigeren Impfquote von 46 % bei 61 % der Teilnehmenden S1-Antikörper nachweisen, bei den 12- bis 17-Jährigen weisen entsprechend der höheren Impfquote 91 % S1-Antikörper auf. NUC-Antikörper fanden sich tendenziell häufiger bei den Teilnehmenden im Alter von 12–17 Jahre als bei den 5- bis 11-Jährigen (23 % vs. 18 %). Hinsichtlich des Antikörperstatus lassen sich keine signifikanten regionalen Unterschiede aufzeigen.
In der Gruppe der bislang ungeimpften Kinder und Jugendlichen lassen sich bei 32 % S1-Antikörper und bei 22 % NUC-Antikörper nachweisen. In der Gruppe der Kinder und Jugendlichen sind insgesamt 65 % (5–11 Jahre: 46 %, 12–17 Jahre 87 %) mindestens einmal gegen SARS-CoV-2 geimpft. In der Altersgruppe der 12- bis 17-Jährigen sind bereits 56 % mindestens dreimal geimpft, während aufgrund der im zeitlichen Verlauf späteren und nicht generellen Impfempfehlung der STIKO [2] in der Altersgruppe der 5- bis 11-Jährigen noch 54 % ungeimpft sind.
Von den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen leiden 14 % unter mindestens einer chronischen Erkrankung (am häufigsten: Atemwegserkrankungen, Adipositas, Diabetes mellitus), in dieser Risikogruppe sind 84 % mindestens einmal geimpft verglichen mit 62 % der Teilnehmenden ohne Vorerkrankungen. Alle Kinder und Jugendlichen mit mehreren gleichzeitig vorliegenden Begleiterkrankungen sind mindestens dreimal geimpft. Ebenso sind Teilnehmende aus Risikohaushalten mit chronisch kranken Haushaltsmitgliedern signifikant häufiger geimpft als Teilnehmende aus Nicht-Risikohaushalten (67 % vs. 59 %). Von den teilnehmenden Kindern und Jugendlichen erhielten 49 % im Verlauf der Pandemie einen positiven PCR-Befund, 94 % davon 2022.
Fazit
Aus der Kombination aus Antikörpernachweis sowie Anzahl der Impfungen lassen sich anlehnend an das Immunebridge-Projekt kombinierte Endpunkte bilden und entsprechend der aktuellen Datenlage anhand der Anzahl der stattgehabten Expositionen eine potenzielle Schutzwirkung für die Bevölkerung ableiten. Als eine Exposition gilt eine durchgemachte Infektion oder auch erfolgte Impfung plus das dazugehörige Immunkorrelat (S1-Antikörper für die Impfung und NUC-Antikörper für eine durchgemachte Infektion).
Bei den Erwachsenen lassen sich aufgrund der hohen Impfquote und zugleich hohen Antikörperprävalenz für 91 % der Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer mindestens drei stattgehabte Expositionen (Infektion oder Impfung) und somit ein hoher Schutz gegen einen schweren Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion annehmen. 3 % haben aufgrund von null Expositionen keinen, für 6 % ist aufgrund von ein bis zwei stattgehabten Expositionen ein geringer Schutz anzunehmen.
In der Gruppe der Kinder und Jugendlichen ist aufgrund der insgesamt deutlich milderen Krankheitsverläufe eine entsprechende Einteilung der Schutzwirkung anhand von Publikationen kaum belegt. Zudem unterscheiden sich die Impfquoten für die unterschiedlichen Altersgruppen aufgrund des zeitlichen Verlaufs der STIKO-Empfehlungen und der nicht generellen Impfempfehlung für die Altersgruppe der 5- bis 11-Jährigen. Es finden sich 61 % der Kinder und Jugendlichen mit zwei oder mehr Expositionen und 24 % haben keinerlei Exposition durch Impfung oder durchgemachte Infektion erfahren.
Die größten, wenngleich kleinen Lücken hinsichtlich einer vollständigen Immunisierung finden sich in den Altersgruppen der 30- bis 45-Jährigen, was bei weiteren Impfkampagnen berücksichtigt werden sollte. Die Daten spiegeln die auch aus dem objektiven Impfmonitoring des RKI ersichtliche hohe Akzeptanz der Impfempfehlungen in der Bevölkerung Schleswig-Holsteins im Verlauf der COVID-Pandemie gut wider und lassen insbesondere einen hohen Schutz der Risikogruppen (Ältere >60 Jahre, chronisch Kranke) annehmen.
Anhand der erhobenen Daten und der sich insgesamt abschwächenden Krankheitsschwere bei SARS-CoV-2-Infektionen erfolgte im Herbst 2022 eine Neubewertung der Situation und COVID-Schutzmaßnahmen wurden zurückgeführt. Wir danken allen Studienteilnehmenden sowie den beteiligten Kinderarztpraxen in Schleswig-Holstein, ohne die die Datenerhebung für die Kinder und Jugendlichen nicht möglich gewesen wäre. Die Studie wurde durch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein unterstützt und in Kooperation mit der Firma HomedIQ und der Fa. Euroimmun durchgeführt.
Literatur bei den Verfassern
Simone Wolff, Nadja Käding, Jan Rupp, Susanne Elsner, Alexander Katalinic