Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt

Bekannte Themen in neuer politischer Konstellation

Welche Schwerpunkte sollte die Gesundheitspolitik in der neuen Legislaturperiode in Schleswig-Holstein haben? Diese und weitere Fragen, insbesondere zur Versorgung, bestimmten den Austausch der Kammerspitze mit drei gesundheitspolitischen Sprechern der Landtagsfraktionen.

Die Herausforderungen für die Gesundheitspolitik der kommenden Jahre sind immens, umso wichtiger ist ein Austausch zwischen den dafür im Parlament zuständigen Abgeordneten und der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen: Dies war Konsens der Gesprächsteilnehmer in der Ärztekammer in Bad Segeberg. Die gesundheitspolitischen Sprecher von CDU (Hauke Hansen), SPD (Birte Pauls) und FDP (Dr. rer. pol. Heiner Garg) waren der Einladung gefolgt und tauschten sich zwei Stunden lang intensiv mit Kammerpräsident Prof. Henrik Herrmann, Vizepräsidentin Dr. Gisa Andresen und dem ärztlichen Geschäftsführer Dr. Carsten Leffmann aus. 
Die Kammer knüpfte damit an ein Gespräch zum Ausklang der vergangenen Legislaturperiode an, als die Kammerspitze sich mit den scheidenden Sprechern der Landtagsfraktionen genauso konstruktiv unterhalten hatte. Eines der Ergebnisse damals: Die Politik wünscht und braucht diesen Austausch mit den Akteuren des Gesundheitswesens. Genauso wie ihre Vorgänger im Amt betonten Hansen, Pauls und Garg auch diesmal die Bedeutung der Selbstverwaltung, die sie parteiübergreifend als unverzichtbar ansehen. „Diejenigen, die am meisten vom Thema verstehen, sollten auch das Handeln bestimmen“, ist etwa die Auffassung von Birte Pauls. Dies zu vermitteln, ist den Ärztinnen und Ärzten nach ihrer Wahrnehmung bislang auch gelungen – im Gegensatz zu den Pflegenden, deren Kammer nach kurzer Zeit zum Bedauern der Sozialpolitikerin inzwischen aufgelöst ist. Auf eine „enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ setzt auch Hauke Hansen. Vom Austausch und Feedback, betonte Hansen, könnten die Parlamentarier nur profitieren. Garg nannte die Selbstverwaltung für den freien Arztberuf eine „Selbstverständlichkeit“. Er hat in der Vergangenheit Versuche der Politik wahrgenommen, die Selbstverwaltung zu beschneiden. Er fordert das Gegenteil: „Ich würde die Selbstverwaltung stärken.“

So viel Konsens gab es nicht in allen Punkten. Kontrovers ging es zum Beispiel zur Entscheidung der Regierungskoalition zu, das Gesundheitsressort aus dem Sozialministerium herauszuschneiden und ins Justizministerium zu verlegen. Die Oppositionspolitiker Pauls und Garg halten diese Entscheidung für falsch und schädlich. „Der neue Zuschnitt ist Gaga und keine Wertschätzung für das, was in den vergangenen Jahren im Gesundheitswesen geleistet wurde“, befand Garg. Von einer „Katastrophe“ sprach Pauls in diesem Zusammenhang. Sie hätte sich zu dieser Entscheidung auch ein klares Statement aus der Selbstverwaltung gewünscht. 
Die Ärztekammer war vom neuen Zuschnitt genauso überrascht wie wohl die meisten Akteure in der Szene. Vizepräsidentin Dr. Gisa Andresen räumte ein, dass die ungewöhnliche Konstellation mit dem Justizressort zunächst gewöhnungsbedürftig sei und bei vielen Standespolitikern auch Unbehagen ausgelöst habe. Eine einseitig ablehnende Haltung aus der Selbstverwaltung gleich zu Beginn der Legislaturperiode wäre aber aus Sicht des Präsidenten falsch gewesen. Er sprach sich dafür aus, die Inhalte, nicht den Zuschnitt zu bewerten. „Viel wichtiger ist uns, was die Landesregierung von den Inhalten des Koalitionsvertrages umsetzt. Der lässt ja durchaus einigen Interpretationsspielraum. Wenn sich nichts bewegt, werden wir in Kiel vorstellig“, kündigte Herrmann an. Dass mit Ministerin Prof. Kerstin von der Decken eine Rechtswissenschaftlerin an der Spitze des Ministeriums steht, die vor Amtsantritt nur wenige Berührungspunkte mit dem Gesundheitswesen hatte, bewertete die Kammerspitze neutral. Leffmann, der schon früh nach Amtsantritt der Ministerin Gelegenheit zum Austausch hatte, erlebt diese als aufgeschlossen. Er verwies außerdem auf die enge Zusammenarbeit auf Arbeitsebene zwischen Kammer und Ministerium. Hansen glaubt nicht, dass die Arbeit des Gesundheitsressorts unter dem Dach des Justizministeriums leiden wird. „Wenn der Ressortzuschnitt das größte Problem des Gesundheitswesens in Schleswig-Holstein ist, sollte mich das sehr wundern“, sagte der neu ins Parlament gewählte Abgeordnete aus Neumünster. Die deutlich erfahreneren Pauls und Garg verwiesen darauf, dass viele Detailfragen zwischen Pflege und Gesundheit durch die Trennung dieser Bereiche in unterschiedliche Ministerien leiden könnten. Hansen versicherte dagegen: „Ich gehe von einer engen Zusammenarbeit zwischen den Ressorts und den Ministerinnen Kerstin von der Decken und Aminata Touré aus.“

Ein in der Gesundheitspolitik längst angekommenes Thema ist die Rolle von branchenfremden Investoren, die sich über MVZ in der ambulanten Versorgung engagieren. Die überwiegend negative öffentliche Wahrnehmung dieser Rolle hat auch die Politik auf den Plan gerufen. Hansen stellte seine Einstellung zur Rolle der sogenannten „iMVZ“ klar: „Das kann man nicht gut finden.“ Er verwies darauf, dass seine Partei diesen Punkt in ihr Wahlprogramm aufgenommen hat. Er erwartet, dass es in dieser Frage in der Legislaturperiode Bewegung geben wird: „Wir nehmen dieses Thema sehr ernst und werden es verfolgen.“
Reicht diese Ankündigung? Andresen verwies auf die Sorge vieler Ärztinnen und Ärzte, dass die hohen Renditeerwartungen privater Investoren dem Gesundheitswesen dringend benötigtes Kapital entziehen; sie sprach sich deshalb für Leitplanken durch die Politik aus. Die Kammerspitze trat aber zugleich für ein differenzierte Beurteilung der komplexen Sachlage aus und warnte davor, private Investitionen als per se schädlich zu verurteilen. Ein komplettes Verbot, wie es vereinzelt schon gefordert wurde, hält man in Bad Segeberg für nicht realistisch. „Wir glauben, dass die Liberalisierung dafür zu weit fortgeschritten ist“, sagte Leffmann, den genauso wie den Kammervorstand viele Sorgen aus dem Kreis der Mitglieder zu diesem Thema erreichen. Herrmann wünscht sich deshalb, dass Auswüchse, die etwa zu monopolartigen Strukturen führen könnten, durch eine enge Überwachung verhindert werden. Neben dem Kartellamt sieht er in dieser Frage auch das Ministerium gefordert. Außerdem forderte Herrmann Transparenz über die Trägerstrukturen. Die Idee der „Leitplanken“ griff auch Garg auf. Das Thema ist aus seiner Sicht nicht mit einem einfachen behördlichen Erlass zu erledigen. „Wir stecken in einem Riesen-Dilemma. Die Auswüchse will keiner, andererseits fehlen dem Gesundheitssystem große Summen, wenn es keine privaten Investoren gibt“, verdeutlichte der frühere Landesgesundheitsminister. Auch Herrmann betonte, dass einseitige Verurteilungen privater Investoren im Gesundheitswesen fehl am Platze seien. Er verwies auf private Klinikträger, die ihre Krankenhäuser zum Teil besser ausstatten als öffentliche Träger. „Eine Gut-Böse-Einteilung, die private Träger pauschal verunglimpft, lehnen wir ab“, stellte der Präsident klar.
Pauls teilt das Unbehagen. Sie nimmt in Investoren, die häufig Ketten im Gesundheitswesen bilden, „aggressive Finanzleute“ wahr. Sie regte deshalb an, dass branchenfremde Investoren zwar die Immobilien bereitstellen und daran auch verdienen dürfen, nicht aber für den Betrieb im „Innenleben“ dieser Gesundheitseinrichtungen verantwortlich sein dürften. Damit, so die Hoffnung der Schleswiger SPD-Politikerin, könnte man einen von Renditeerwägungen getriebenen Einfluss auf ärztliche oder pflegerische Entscheidungen verhindern.

Zweites Kernthema der Diskussion war der Fachkräftemangel. Das Problem betrifft längst nicht nur Ärzte und Pflegekräfte, sondern auch Medizinische Fachangestellte (MFA), verdeutlichte Andresen den Politikern. In zahlreichen Berufen im Gesundheitswesen hören ältere Beschäftigte nach ihrer Beobachtung frustriert auf, während jüngere sich – zu Recht – immer stärkeren Belastungen widersetzten. Das sich seit Jahren verschärfende Problem ist in Teilen aber hausgemacht, gab Pauls zu bedenken. Sie verwies auf die kreativen Dienstpläne, die von Zeitarbeitsfirmen für die zunehmenden Honorarkräfte möglich sind – in vielen Einrichtungen für die überlasteten Stammkräfte aber nicht. Folge sei deren Abwanderung, mehr Honorarkräfte, höhere Kosten – eine Spirale, die die Personalverantwortlichen in den Kliniken aus ihrer Sicht nicht rechtzeitig gestoppt haben. Sie forderte, dass Personalverantwortliche mehr mit der Frage, wie man Stammkräfte an das Haus bindet, auseinandersetzen. Auf „Leiharbeiter“ sollten Einrichtungen nur begrenzt zurückgreifen dürfen, Pauls hält eine Obergrenze von 15 % für sinnvoll. Für „eine Frage der Führungsqualität“ ist das Problem zumindest in Teilen auch für Garg, Hansen wiederum erwartet „Augenmaß und Fingerspitzengefühl“ von den Verantwortlichen. Beide erkannten aber an, dass damit allein nicht jede Lücke geschlossen werden kann. Helfen könnte aus Sicht der Ärztekammer eine bessere Zusammenarbeit und mehr Abstimmung bei der Aufgabenverteilung zwischen den Berufen im Gesundheitswesen. Herrmann erneuerte seine Haltung, dass Ärzte nicht mehr jede Tätigkeit ausüben müssen, die ihnen traditionell zufiel. „Wir haben bereits gute Ansätze für eine bessere Zusammenarbeit der Heilberufe, das müssen wir verstärken“, betonte der Präsident. Zumindest in der Allgemeinmedizin gibt es einen leichten Hoffnungsschimmer. Leffmann berichtete, dass deren Zahlen in der Weiterbildung nach langer Durststrecke und intensiven Bemühungen seit einiger Zeit wieder zaghaft steigen.
Weitere Themenkreise wie Rationierung und Priorisierung, Qualitätsfragen oder Krankenhausplanung stehen noch auf der Wunschliste der Kammer nach diesem ersten Gespräch in der neuen Legislaturperiode – ein weiterer Austausch sollte aus Sicht aller Gesprächspartner folgen.

 

Text: Dirk Schnack