„Ziel muss sein, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.“
Rechtswissenschaftlerin Prof. Kerstin von der Decken war die große Überraschung im Kabinett von Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (beide CDU). Von der Decken erhielt nicht nur das Justizressort, sondern übernahm auch die aus dem Sozialministerium herausgelösten Gesundheitsabteilungen, was landesweit für Erstaunen, bei der Opposition für Kritik sorgte. Im Interview mit dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt erläutert die Ministerin, welche Herausforderungen in der Gesundheitsversorgung für sie Priorität haben. Das Interview führte Dirk Schnack.
Frau von der Decken, alle waren überrascht, als Sie im Sommer nicht nur neue Justiz- sondern auch Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein wurden. Politisch waren Sie kaum in Erscheinung getreten, in der Gesundheitsszene waren Sie bis vor sechs Wochen unbekannt. Wie überrascht waren Sie selbst?
Prof. Kerstin von der Decken: Das kam auch für mich überraschend. Nach kurzer Bedenkzeit habe ich das Amt aber gerne übernommen. Erste Berührungspunkte hatte ich als Mitglied der Expertenrunde im interdisziplinären Beratungsgremium der Landesregierung zur Bewältigung der Pandemie. Damit habe ich natürlich nur einen kleinen Ausschnitt des Gesundheitsbereichs kennengelernt. Im Jurastudium lernt man aber, dass man sich in alles einarbeiten kann und muss – und das tue ich seitdem. Zum Glück kann ich mich dabei auf zwei wunderbare Gesundheitsabteilungen verlassen, die top aufgestellt und mit Experten besetzt sind.
Gesundheit und Soziales haben viele Berührungspunkte, deshalb arbeiten diese beiden Bereiche in aller Regel in einem Ministerium zusammen. Nun wurden die Gesundheitsabteilungen dem Justizministerium zugeschlagen. Wie soll die Zusammenarbeit gelingen?
Von der Decken: Das klingt zunächst schwierig, aber man kann es auch positiv sehen. Es stehen jetzt zwei Staatssekretäre zur Verfügung, von denen einer (Anm. der Redaktion: Dr. Oliver Grundei) ausschließlich für Gesundheit verantwortlich ist. Im Sozialministerium gab es vorher nur einen Staatssekretär für alle Bereiche. Das ist also eine strukturelle Stärkung der Gesundheit. Auf Arbeitsebene gibt es ohnehin enge Verbindungen zwischen den Abteilungen, die weiter bestehen. Es wird eng kooperiert.
Aber allein räumlich mutet die Trennung seltsam an. Sie sitzen mit einem Stab im Justizministerium, ihre Gesundheitsfachleute in den Abteilungen bleiben im entfernten Sozialministerium. Wie schaffen Sie die Verbindung?
Von der Decken: Der Staatssekretär ist zwei Tage die Woche bei den Abteilungen, drei Tage hier. Wir glauben, dass wir so eine enge Abstimmung hinbekommen. Das überprüfen wir kontinuierlich und werden das bei Bedarf anpassen. Außerdem kennen und schätzen Sozialministerin Aminata Touré von den Grünen und ich uns. Wir tauschen uns regelmäßig aus, das läuft hervorragend.
Erste Termine im Gesundheitswesen haben Sie schnell nach ihrem Amtsantritt absolviert. Was stand ganz oben auf Ihrer Agenda?
Von der Decken: Ich war gleich am zweiten Tag schon im Städtischen Krankenhaus Kiel, um mich zu informieren. Wir hatten im Juni nach der Kieler Woche kurzfristig ansteigende Corona-Zahlen und ich wollte von Pflegekräften und Ärztinnen und Ärzten hören, wie sie das im Arbeitsalltag bewältigen. Es ist mir wichtig, dies von den Akteuren selbst zu hören. Ich hatte den Eindruck, auf hochmotivierte und engagierte Menschen zu treffen, die für ihre Arbeit im positiven Sinne brennen. Dieser Eindruck hat sich dann bei weiteren Besuchen verfestigt, auch nach Gesprächen mit Vertretern von Institutionen wie KV, Ärztekammer, Krankenhausgesellschaft und weiteren. Man merkt den im Gesundheitswesen tätigen Menschen schnell an, dass sie nicht nur irgendeinen Job machen, sondern eine für die Mitmenschen und die Gesellschaft wichtige und sinnvolle Aufgabe erfüllen. Man merkt aber auch schnell, wie groß diese Herausforderung ist und welche Belastungen dort herrschen.
Wie können Sie als Landesministerin bei dieser Belastung helfen?
Von der Decken: Zunächst, indem ich in die Rolle der Zuhörenden schlüpfe und ernsthaft aufnehme, wo der Schuh drückt. Ein großes Problem ist der Spagat zwischen dem Anspruch an flächendeckender und zugleich hochwertiger Versorgung. Das treibt auch die Akteure um.
Worauf setzen Sie konkret bei diesem Spagat, der sich ja zum Beispiel am Klinikstandort Eckernförde gerade zeigt. Wird es dort künftig so viele stationäre Leistungen geben, wie es sich eine dortige Bürgerinitiative erhofft oder nur noch so viele, wie der Träger dies plant?
Von der Decken: Über den Antrag des Trägers wird ergebnisoffen entschieden, das macht der Landeskrankenhaus-Planungsausschuss, nicht die Gesundheitsministerin.
Bleiben wir noch im stationären Sektor. Wir haben eine vielfältige Kliniklandschaft im Land und die nimmt zunehmend wahr, dass Politiker sich immer ganz schnell auf das UKSH beziehen. Nun wird im Koalitionsvertrag das UKSH auch noch explizit erwähnt und hervorgehoben. Warum diese einseitige Betrachtung?
Von der Decken: Ich kenne diese Kritik und habe deshalb auch bewusst als erstes Ziel das Städtische Krankenhaus ausgesucht. Das darf man als Signal verstehen, dass wir natürlich um die Bedeutung aller Krankenhäuser im Land wissen. Der Maximalversorger UKSH ist unverzichtbar, genauso aber alle in der Fläche versorgenden Häuser. Wir können auf das eine so wenig verzichten wie auf das andere. Die Herausforderung liegt darin, das Leistungsangebot abzustimmen.
Permanenter Kritikpunkt ist die Ausstattung der Klinikstandorte mit Investitionsmitteln. Die sind in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, reichen nach Angaben der Krankenhäuser aber nicht aus. Wird es da Verbesserungen geben?
Von der Decken: Zusagen kann ich das nicht, noch befinden wir uns am Beginn der Haushaltsberatungen für 2023. Aber das Thema steht bei mir ganz oben auf der Agenda und ich hoffe, möglichst viel für die Krankenhäuser herausholen zu können. Das ist das, was wir auf Landesebene tun können. Für die laufende Finanzierung und für die Abfederung der Corona-bedingten Zusatzbelastungen versuchen wir, mit den anderen Ländern gemeinsam auf Bundesebene zu erreichen, dass die Krankenhäuser besser unterstützt werden.
Im ambulanten Sektor sind die Herausforderungen nicht geringer als im stationären. Welche sind schon an Sie herangetragen worden?
Von der Decken: Natürlich das Problem, dass die haus- und fachärztlichen Praxisinhaber zunehmend Probleme haben, Nachfolger zu finden. Ein Drittel der rund 1.900 Hausärzte in Schleswig-Holstein sind älter als 60 Jahre und wir stehen vor der Frage, wer ihre Arbeit fortsetzt. Denn zugleich steigt ja die Nachfrage nach medizinischen Leistungen, damit kommen wir in eine Schieflage. Wir müssen Bedingungen schaffen, die junge Ärztinnen und Ärzte so ansprechen, dass sie im ambulanten Bereich arbeiten wollen. Ein Instrument dafür können Regionale Gesundheitszentren sein, die Teilzeitmodelle und eine Angestelltentätigkeit leichter ermöglichen. Da gibt es bereits gute Lösungen z. B. mit Kommunen als Betreiber, vereinzelt auch mit gemeinnützigen Trägern.
Oder mit privaten Investoren, die Fremdkapital mitbringen und Rendite erwarten. Hilft uns das?
Von der Decken: Private Träger können eine Ergänzung sein. Private Investitionen in den Gesundheitsbereich sind möglich und willkommen. Problematisch wird es, wenn die finanziellen Interessen von Investoren medizinische Entscheidungen beeinflussen. Diese Sorge haben Ärzte schon vor meinem Amtsantritt berichtet und ich nehme das sehr ernst. Es darf nicht sein, dass Ärzte sich aus finanziellen Erwägungen der Investoren zu Entscheidungen gedrängt fühlen, die sie aus ärztlicher Sicht nicht treffen würden.
Im ambulanten Bereich geht es auch um die Medizinischen Fachangestellten. Die MFA selbst und ihre Praxisinhaber vermissen Wertschätzung. Dass sie beim Corona-Bonus unberücksichtigt blieben, hat in den Praxen für viel Frust gesorgt. Wie kann man verhindern, dass MFA ihrem Beruf den Rücken ehren?
Von der Decken: Ich kann gut verstehen, dass die MFA aus den genannten Gründen ein Gefühl der Zurückstufung haben. Ich sehe derzeit aber nicht, dass sich beim Thema Corona-Bonus noch etwas tun wird. Unser Ziel muss sein, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wertschätzung drückt sich ja nicht allein in Prämien aus. Wir müssen die Rahmenbedingungen für Praxisinhaber so gestalten, dass sie in die Lage versetzt werden, die MFA besser bezahlen zu können. Wir müssen außerdem gute Bedingungen für die Ausbildung schaffen und dazu beitragen, dass ein gutes Arbeitsklima in den Praxen herrschen kann.
Vielen Dank für das Gespräch