Demenz: Fokus auf Risikofaktoren

DGN-KONGRESS - Neurodegenerative Erkrankungen wie die Alzheimer- und Parkinsonkrankheit nehmen stärker zu, als es der demografische Wandel begründen würde. Neben der Ursachenforschung rückte beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Berlin insbesondere das Thema Prävention in den Fokus. 

Bis zum Jahr 2050 erwarten Experten weltweit eine Verdopplung der Fallzahlen. Dass es sich bei Alzheimer und Parkinson jedoch nicht um reine Alterserkrankungen handelt, verdeutlichte Prof. Michael Heneka aus Luxemburg: Beide Erkrankungen beginnen Jahre, oftmals sogar Jahrzehnte, bevor die ersten klinischen Symptome sichtbar werden. Alzheimer sei eine Erkrankung des mittleren Lebensalters. „Das, was man allgemein unter dieser Krankheit versteht, ist bereits das Endstadium eines langsamen, aber stetigen Abbauprozesses von Nervenzellen“, so Heneka. Das Fortschreiten neurodegenerativer Erkrankungen gleiche einem Staffellauf: Eine krankhafte Veränderung stoße die nächste an, diese Veränderungen fänden zeitgleich in verschiedenen Hirnregionen statt. Ideal wäre es, so Heneka, frühzeitig in diesen Prozess einzugreifen, also in einem Krankheitsstadium zu behandeln, in dem die Betroffenen noch klinisch beschwerdefrei sind.


„Bis zu 40 % der Demenzen können durch die Vermeidung von Risikofaktoren verhindert werden.“
Dr. Eva Schäffer


„Das ist sinnvoll und möglich“, sagt die Kieler Neurologin Dr. Eva Schäffer. „Prävention hat ein großes, bisher weitgehend ungenutztes Potenzial: Beispielsweise können bis zu 40 % der Demenzen durch die Vermeidung von Risikofaktoren verhindert werden“, erläuterte sie in Berlin. Wichtigste beeinflussbare Risikofaktoren für die Entwicklung einer Demenz sind neben zu wenig Bewegung und „schlechter“ Ernährung die Abnahme der Hörfähigkeit, ein geringer Ausbildungsstand, Rauchen, Depressionen und eine geringe Zahl an sozialen Kontakten. „Für Demenzerkrankungen im Allgemeinen ist tatsächlich Hörverlust der größte Risikofaktor“, erklärte Schäffer auf Anfrage des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblattes. „Ernährung und regelmäßiger Sport dagegen können sowohl über potenziell neuroprotektive Effekte als auch über eine Modulation von kardiovaskulären Risikofaktoren relevant zur Risikoreduktion beitragen.“ In Studien führte moderate bis intensive körperliche Aktivität zur Verbesserung von kognitiven Beeinträchtigungen und Depressionen. Bei der Ernährung hat sich eine Kombination aus mediterraner und nordischer Diät mit einer ballaststoff- und polyphenolreichen Kost als besonders effektiv erwiesen. 

Ähnlich sieht es bei der Parkinsonerkrankung aus: Die wichtigsten potenziell vermeidbaren oder modifizierbaren Risikofaktoren sind körperliche Inaktivität, Diabetes mellitus sowie eine regelmäßige, häufig beruflich bedingte Exposition gegenüber Pestiziden und Lösungsmitteln. „Von besonderer Bedeutung ist, dass körperliche Aktivität vor allem im mittleren Lebensalter der beste protektive Faktor ist, longitudinale Studien konnten hier eine Risikoreduktion von 40 bis 60 % aufzeigen.“ Auch für protektive Effekte von gesunder Ernährung und ausreichend Schlaf gebe es eine „beeindruckende Datenlage“, sagte Schäffer. Diese sei für alle Erkrankungsphasen – die asymptomatische, die prodromale und die manifeste Phase – nachweisbar. 

Noch liegen keine verlässlichen Früherkennungstests für die Parkinsonkrankheit vor, die Diagnose erfolgt in der Regel erst nach Auftreten klinischer Symptome. Doch die Fortschritte auf diesem Gebiet sind enorm: Auch die Kieler Wissenschaftler um Schäffer und Klinikdirektorin Prof. Daniela Berg haben im vergangenen Jahr erste Erfolge bei der Entwicklung eines Bluttests zur Parkinsonfrüherkennung vermeldet. Diese müssten durch weitere Studien bestätigt werden, doch der routinemäßige Einsatz solcher Tests für die Parkinson- und die Alzheimerkrankheit, so Schäffer, sei in absehbarer Zeit zu erwarten.        
Uwe Groenewold