ÖGD: Ärztinnen und Ärzte gesucht
ÖGD - Für den sozialpsychiatrischen Dienst der Gesundheitsämter werden Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie benötigt - zum Jahreswechsel fehlten diese an sechs von 15 Gesundheitsämtern in Schleswig-Holstein. Ein Beispiel: Neumünster.
Der Ehemann beschrieb seine Frau als zunehmend seltsam. Sie kapselte sich ab und vernachlässigte alle sozialen Kontakte. Wenn sie angesprochen wurde, reagierte sie mit verworrenen Antworten. Sie sprach zunehmend mit sich selbst und irgendwann mit imaginären Gesprächspartnern. Der besorgte Ehemann schaltete den sozialpsychiatrischen Dienst seiner Heimatstadt Neumünster ein.
Die hinzugezogene Ärztin hielt das Verhalten zwar für bedenklich, aber eine stationäre Behandlung war gegen ihren Willen zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Das änderte sich, als die Frau begann, Kabel durchzuschneiden und ihren Ehemann tätlich anzugreifen. Sie gefährdete sich und andere. Der Zeitpunkt für eine Zwangseinweisung war gekommen.
Das Beispiel zeigt, wie schwerwiegend die Entscheidungen sind, die sozialpsychiatrische Dienste manchmal treffen müssen: Sie können dazu führen, dass ein anderer Mensch in seiner Freiheit deutlich eingeschränkt wird.
Schon aus diesem Grund sollten sozialpsychiatrische Dienste mit Fachärztinnen und Fachärzten für Psychiatrie besetzt sein. Das ist in Neumünster und in fünf weiteren Gesundheitsämtern in Schleswig-Holstein aktuell nicht der Fall. Die Arbeit des Dienstes wird in solchen Fällen von Fachärztinnen für Öffentliches Gesundheitswesen erledigt. Diese können zwar Erfahrung auf diesem Gebiet haben, verfügen aber nicht über die inhaltliche Kompetenz wie Kollegen aus der Psychiatrie.
Die Einsatzgebiete im sozialpsychiatrischen Dienst sind vielfältig: Sie führen prophylaktische Gespräche mit Patienten ohne feststehende Diagnose, begleiten Menschen mit Psychosen, stellen Verdachtsdiagnosen in der Häuslichkeit, erarbeiten Gutachten und vieles mehr. "Es sind viele Situationen dabei, die man in Klinik und Praxis nicht erlebt", sagt Dr. Alexandra Barth, Fachdienstleiterin in Neumünster und Vorsitzende des Landesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im ÖGD. Zusammen mit ihren Kolleginnen Dr. Beate Jentzen, Dr. Stefanie Esders und Dr. Nina-Marie Daas übernimmt sie derzeit die Aufgaben des sozialpsychiatrischen Dienstes mit, obwohl keine von ihnen die fachärztliche Weiterbildung Psychiatrie absolviert hat.
Sie empfinden die Aufgabe im sozialpsychiatrischen Dienst als vielfältig und abwechslungsreich. "Wir sehen das unbehandelte Krankheitsbild zu Beginn der Erkrankung", sagt Dr. Stefanie Esders. Ein Grund, warum die Fachärzte den Weg so zögerlich in den sozialpsychiatrischen Dienst finden, liegt für Dr. Nina-Marie Daas im Studium, wo nach ihren Erfahrungen wenig für die Bekanntheit dieser Tätigkeit getan wird.
Zum Teil führt die Arbeit zum Kontakt mit erschütternden menschlichen Schicksalen. Dies kann nach Überzeugung von Dr. Beate Jentzen aber kein Grund sein für Kollegen aus der Psychiatrie, den Weg in den sozialpsychiatrischen Dienst nicht zu gehen. "Psychiater können das. Sie sind empathisch und abgrenzungsfähig", nennt sie zwei wichtige Voraussetzungen. Hinzu kommt: Jeder Fall wird im Team besprochen.
Barth verweist auf weitere Vorteile der Tätigkeit im sozialpsychiatrischen Dienst: Arbeiten ohne finanzielles Risiko, Budgetdruck und Zeitnot. Ungewöhnlich ist es im ÖGD allerdings nicht, dass Stellen nicht besetzt werden können. Von insgesamt 217 Vollzeitstellen an den Gesundheitsämtern im Land sind 44 unbesetzt.
Dirk Schnack