Dr. Bettina Schultz im Interview

Dr. Bettina Schultz im Interview

Wann haben Sie sich erstmals mit der Frage auseinandergesetzt, ob Sie für den KV-Vorstand kandidieren?
Dr. Bettina Schultz: Ich bin vor rund zwei Jahren aus der KV heraus gefragt worden, ob ich nicht kandidieren möchte. Ein Grund war offensichtlich meine bisherige berufspolitische Arbeit, u.a. in der Kreisstelle, im Praxisnetz und als stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes der Gynäkologinnen und Gynäkologen auf Landesebene. Ich dachte immer, standespolitisches Engagement sei selbstverständlich, das ist es aber nicht. Ich war erst etwas zögerlich, weil ich mir die Arbeit nur am Schreibtisch und ohne Patientinnen nur schwer vorstellen konnte. Die Arbeit in der Praxis hat mir ja Spaß gemacht!

Wie ist es heute, ein paar Wochen nach Amtsbeginn? Fehlt Ihnen die Praxis schon?
Schultz: Es fehlt mir tatsächlich nicht, weil die KV-Arbeit so spannend ist. Ich genieße es, mich endlich auf eine Sache konzentrieren zu können. Das war vorher ja nicht so, da habe ich Standespolitik und Praxis immer parallel gemacht und auf mehreren Hochzeiten getanzt – das hat den Akku aufgezehrt.


Dr. Bettina Schultz

Die vor 60 Jahren in Göttingen geborene Schultz kam zum Studium nach Lübeck und arbeitete seit 1991 zunächst in den Krankenhäusern in Oldenburg und Eutin. 2003 ließ sich die Gynäkologin in Einzelpraxis in Eutin nieder, wurde Gründungs- und Vorstandsmitglied des Ärztenetzes Eutin/Malente. Von 2010 bis 2015 war sie Abgeordnete der Ärztekammer Schleswig-Holstein, 2013 wurde sie außerdem KV-Kreisstellenvorsitzende im Kreis Ostholstein. 2016 wurde sie erstmals Abgeordnete der KVSH und zum Mitglied im Fachausschuss Fachärzte gewählt. 2020 wurde Schultz außerdem stellvertretende Landesvorsitzende im Berufsverband der Frauenärzte auf Landesebene und wurde bereits als Nachfolgerin von Doris Scharrel gehandelt. Im gleichen Jahr wurde sie außerdem Leiterin der Covid-19-Impfzentren Ostholstein (bis 2022), ein Jahr später auch in den Aufsichtsrat der Ärztegenossenschaft Nord gewählt (bis 2024). 2023 wurde sie zudem Mitglied des Beirats des Vorstandes und des HVM-Ausschusses der KVSH – bis zu ihrer Wahl zur Vorstands­chefin. (di)


Die ambulante Medizin steht vor zahlreichen Herausforderungen. Welche sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten?
Schultz: Wichtigste Aufgabe ist es, die ambulante Versorgung sicherzustellen. Dafür brauchen wir kluge Konzepte, um neue Wege zu gehen und bestehende zu optimieren. Wichtig wäre aus meiner Sicht ein verstärkter Austausch mit kommunalen Vertretern wie Landräten und Bürgermeistern, um aufzuzeigen, was eine KV leisten kann und was nicht. Aber auch, wie sich Kommunen selbst aufstellen könnten, um die ambulante Versorgung in der Region zu stärken. Entsprechende Gesprächsrunden gab es bereits, diese könnte man intensivieren. 
Genauso wichtig ist es, andere Berufe besser in die ambulante Versorgung einzubinden. Potenzial sehe ich insbesondere bei den Physician Assistants (PA), die in Schleswig-Holstein bereits ausgebildet werden. Leider finden sie bislang fast ausschließlich in Krankenhäusern Arbeitsplätze, weil uns eine Rechtsgrundlage für eine Abrechnung von PA-Leistungen in Arztpraxen fehlt. Ich bin sicher, dass gerade die großen Versorgerpraxen liebend gerne sofort PAs einstellen würden. Einsatzmöglichkeiten für PAs im ambulanten Bereich gibt es genug, beispielsweise Hausbesuche. Klar ist aber auch: PAs sind hervorragend ausgebildet. Sie müssen mehr verdienen als MFA. Neben diesen beiden Maßnahmen sollten wir angehende Haus- und Fachärzte früher für die ambulante Versorgung begeistern und die Attraktivität des Arbeitens in der eigenen Praxis besser herausstellen. Vielen jungen Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern ist nach meiner Wahrnehmung noch nicht ausreichend bewusst, welche Vorteile ein Wechsel in die ambulante Versorgung für sie haben kann.

Wo ist denn die ambulante Versorgung in Schleswig-Holstein derzeit besonders ausgedünnt?
Schultz: Das sind die bekannten Regionen, die wir schon seit Jahren im Blick haben, zum Beispiel an der Westküste. Dort ist besonders der Mittelbereich Husum zu nennen. Es gibt aber auch in anderen Regionen Probleme, zum Beispiel in Neumünster und Elmshorn.

Die Einzelpraxis wird oft als Auslaufmodell beschrieben. Welche neuen Konzepte helfen, die Versorgung sicherzustellen?
Schultz: Die Einzelpraxis ist aus meiner Sicht kein Auslaufmodell. Das zeigen die vielen Übernahmen von Einzelpraxen. Auch meine Praxis ist von einer Kollegin übernommen worden, die die Praxis als Einzelpraxis weiterführt. Das ist gängige Praxis und wird nach meiner Überzeugung auch nicht aussterben. Darüber hinaus gibt es viele Modelle, die möglich sind und die wir auch begrüßen. Alles, was die Versorgung stärkt, ist in Ordnung. Vorsichtig sein müssen wir aber, wenn Private-Equity-Unternehmen in den Markt drängen und die Preise diktieren wollen. Am größten ist die Versorgungsleistung nach meiner Überzeugung immer da, wo die Inhaber der Arztpraxen selbst behandeln.

Es lässt sich aber beobachten, dass viele jüngere Ärztinnen und Ärzte mit dem Schritt in die Niederlassung zögern. Woran liegt das und wie lässt sich das ändern?
Schultz: Wer sich mit dem Gedanken an eine Niederlassung trägt, der hat keine Angst vor der Medizin, sondern Respekt vor den organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Aspekten der Praxisführung. Wir als KV machen Angebote zur Unterstützung und zeigen, dass Angst vor der Praxisführung unbegründet ist. Eine weitere Hürde ist die Vorstellung, mit der Übernahme einer Einzelpraxis allein zu sein. Das ist falsch! Seit immer mehr Frauen in der Medizin tätig sind, hat die Vernetzung stark zugenommen. Ich habe mich als Einzelpraxisinhaberin nie allein gefühlt, war stets Teil des Ärztenetzes Eutin/Malente. Als Mitglied eines Ärztenetzes kann man immer jemand anrufen, der Rat gibt und unterstützt. Ich glaube auch, dass der Begriff „Einzelkämpfer“ überholt ist, weil das Konkurrenzdenken zwischen den Praxisinhaberinnen und -inhabern heute viel geringer ausgeprägt ist als früher – in der Region versorgen sie gemeinsam.  

Sicherstellung ergibt sich schon aus der Aufgabe der KV. Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie prioritär?
Schultz: Natürlich steht die Digitalisierung ganz oben. Sie ist einer der Schlüssel für eine funktionierende Versorgung. Damit wir das Potenzial besser ausschöpfen können, muss Digitalisierung mit Gewinn und Arbeitserleichterung für die Praxisinhaber einhergehen – das war in der Vergangenheit nicht so. Jetzt sind wir mit einigen Anwendungen wie zum Beispiel E-Rezept gut gestartet. Ich wünsche mir, dass die nächsten Anwendungen ebenfalls gut verlaufen, damit die Akzeptanz steigt. Positiv ist, dass die Ärztinnen und Ärzte in Schleswig-Holstein aufgeschlossen für die Digitalisierung sind und zum Beispiel Online-Schulungen sehr gut annehmen.
Aber auch die KV selbst kann in ihrer Kommunikation mit den Mitgliedern stärker digitalisieren. Nur ein Beispiel dafür sind die Honorarabrechnungen, die immer noch jedes Quartal in Papierform per Post den Praxisinhabern zugeschickt werden. Das verschlingt rund eine Million Blatt Papier im Jahr – hier ist also noch viel Potenzial.
Ein ganz anderes Thema ist die Patientensteuerung. Auch wenn die Möglichkeiten der KV hier begrenzt sind – die Aufgabe ist extrem wichtig. Denn wir haben ja viele Ärztinnen und Ärzte im Versorgungssystem, nur eben zu wenig Steuerung. Dass sie etwas bewirken kann, zeigt sich am Beispiel der Leitstelle 116 117. Aber auch hier ist digitale Unterstützung wichtig. Wir wollen deutlich machen, dass aus unserer Sicht beispielsweise Apps für die Patientensteuerung eingesetzt werden sollten. Das ist eine Möglichkeit, mit der Menschen Ängste genommen werden kann, mit der sie beruhigt werden. Eine solche Ersteinschätzung kann verhindern, dass unnötige Arztkontakte etwa in Notaufnahmen entstehen. Unsere gemeinsame Kampagne mit dem schleswig-holsteinischen Gesundheitsministerium zur Wahl der 116 117 war ein Schritt in die richtige Richtung. Sinnvoll wäre es natürlich auch, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung insgesamt zu verbessern, damit unnötige Arztkontakte seltener werden. Im Idealfall sollte die bereits in der Schule vermittelt werden.

Wie ließe sich die Zusammenarbeit zwischen den niedergelassenen Ärzten und den Krankenhäusern in ihrer Region verbessern?
Schultz: Am einfachsten, wenn wir die Krankenhausreform regional mitgestalten könnten. Die bundesweite Reform wird uns da wenig helfen. Man muss in Nordrhein-Westfalen anders planen als in Schleswig-Holstein. Von der Grundausrichtung her bin ich überzeugt, dass wir die Basis- und die Notversorgung in der Fläche unbedingt erhalten müssen. Aber es ist richtig, dass nicht jedes Krankenhaus jede Leistung anbieten muss. Niedergelassene Ärzte müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Patienten in jedem Krankenhaus eine gute medizinische Qualität bei den vor Ort angebotenen Leistungen vorfinden. Das ist nicht immer mit dem Wunsch nach Wohnortnähe vereinbar.

Müssen Patientinnen und Patienten ihre Anspruchshaltung überdenken?
Schultz: Ich glaube ja, es gibt kein unbegrenztes Leistungsversprechen. Aber das kann nicht eine KV allein entscheiden, sondern das muss gemeinsam mit Politik und Krankenkassen erfolgen. Wichtig wäre eine gemeinsame Linie, die auch Aussagen beinhaltet, was nicht geht. Wir müssen erreichen, dass der Beitrag zur Krankenversicherung nicht von manchen Menschen als Flatrate und Zugang zu jeder Leistung betrachtet wird. Es muss klar herausgestellt werden, dass man froh sein kann, wenn man Leistungen nicht in Anspruch nehmen muss und die Beiträge für die verwendet werden können, die sie auch objektiv benötigen. Da können wir in den Arztpraxen unseren Beitrag leisten, etwa indem wir sagen: Zum Glück können wir auf eine Medikation verzichten. Das funktioniert aber nur, wenn Politik und Krankenkassen diese Linie auch vertreten.  

Vielen Dank für das Gespräch.