Sylvia-Hakimpour-Zern spricht auf der Auftaktveranstaltung der Initiative „Stärkung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein“

Diskussion über psychische Gesundheit von Kindern

Ich bin krank“. Ein Satz, der bei körperlichen Beschwerden einfach ausgesprochen und verstanden wird. Ist der Betroffene aber psychisch erkrankt, trifft er mitunter auf unterschiedliche Reaktionen – häufig auf Unverständnis bis hin zu Abwertung. Sind Kinder und Jugendliche betroffen, ist ihr Umfeld zum Teil überfordert. Eltern suchen mitunter die Ursache bei sich selbst oder möchten die Krankheit ihres Kindes ignorieren und versuchen, diese zu verheimlichen. 

Auch Freunde der Betroffenen haben meist keine Erfahrung mit psychisch Erkrankten und stigmatisieren die Krankheit. „Wir können oft beobachten, dass die Stigmatisierung als zweite Krankheit bei Betroffenen genannt wird, da diese unter den Reaktionen ihres Umfeldes zusätzlich zur Krankheit stark leiden“, sagte PD Dr. Moritz E. Wigand, Chefarzt der Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Schön Klinik Rendsburg, im Rahmen der Auftaktveranstaltung der Initiative „Stärkung der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein“ in Kiel. Um der Stigmatisierung aus dem Weg gehen zu können, versuchen Kinder und Jugendliche ihre Krankheit zu verstecken, ist sie doch für viele mit Scham besetzt und könnte zur Ausgrenzung führen. 

Dr. Manuela Richter-Werling
PD Dr. Moritz E. Wigand
Susanne Michaels, Silke Neumann und Eschel Ewert

Das Präventionsprogramm „Verrückt? Na und! – Seelisch fit in der Schule“ des Vereins Irrsinnig Menschlich e.V. bringt das Thema psychische Gesundheit seit 2001 in die Schulen und schafft auf diese Weise Bewusstsein für das Thema und den richtigen Umgang damit. Regionalgruppen bieten im Rahmen des Projekts Schultage an, an denen zwei Vertreter eine Schulklasse besuchen. Der fachliche Experte wird stets von einem persönlichen Experten begleitet. „Wir stellen zu Beginn die Frage an die Schüler, ob sie der Meinung sind, dass man psychisch Erkrankte äußerlich erkennen könne. Die Antwort ist eigentlich immer einstimmig: Ja, natürlich sieht man es dem Betroffenen auf den ersten Blick an“, so Silke Neumann, fachliche Expertin der Regionalgruppe Kiel des Kieler Fensters. Im Rahmen des Schultages berichtet der persönliche Experte erst im Laufe des Vormittags von seinen persönlichen Erfahrungen und Leidensweg. „Es wird dann sehr still im Klassenzimmer und alle sind erstaunt, haben sie mir die Krankheit im Vorwege eben doch nicht ansehen können“, so Susanne Michaels, die als persönliche Expertin der Regionalgruppe Kiel schon häufig ihrem Leidensweg berichtet hat: Suizidversuch mit 17 Jahren, absolvierte Therapien und heute stabil, aber weiterhin unter Depressionen leidend. Die Folgen ihrer Krankheit haben sie ihr Leben lang begleitet. „Ich wurde als zu faul abgestempelt, fühlte mich häufig antriebslos und habe keine Ausbildung abschließen können. Eine enge Freundin hat mir zugehört, über die Krankheit sprechen war das Wichtigste für mich, um zu lernen mit ihr umgehen zu können“, so Michaels. Die Initiatoren des Projekts wollen nicht nur die betroffenen Kinder ansprechen und ihnen aufzeigen, wo sie Hilfe finden und annehmen können. Sie wollen auch die Mitschüler erreichen, die zwar selbst nicht betroffen sind, aber Mitschüler mit Erkrankungen haben. „Psychisch Erkrankte verheimlichen ihre Krankheit aus Angst vor sich selbst, aber meist aus Angst vor den Reaktionen des Umfeldes. Doch niemand kann in den Kopf des anderen hineinsehen, deshalb ist es so wichtig, betroffenen Kindern und Jugendlichen Mut zu machen, um sich zu öffnen“, sagte Neumann. Eschel Ewert, Landesschülervertreter der Gymnasien in Schleswig-Holstein, plädiert für mehr Struktur und Kapazitäten für die Unterstützung der Schülerschaft. „An unserer Schule sind ca. 1.000 Schüler und für diese gerade einmal zwei Schulsozialarbeiter an zwei Vormittagen in der Woche zuständig. Da kann doch gar nicht jeder Schüler berücksichtigt, gar aktiv angesprochen werden, wenn es Auffälligkeiten gibt“, so Ewert. 

Er ist sich sicher, dass auch die Lehrkräfte nicht genügend Kapazitäten haben, um angemessen auf auffällige Schüler zugehen zu können bzw. um diesen aktiv Hilfe anzubieten. Damit Schüler sich ihren Lehrkräften gegenüber öffnen, bedarf es Vertrauen und eine Bindung zueinander. „Unterrichtet ein Lehrer acht verschiedene Klassen, wird es ihm schwerfallen, zu jedem Schüler eine Bindung aufzubauen“ war sich Dr. Manfred Böge, Sachgebietsleiter im Zentrum für Prävention, Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH), sicher. Für Böge fängt die Prävention psychologischer Erkrankungen im Elternhaus an und führt über die Lehrkräfte bis in die Schule. „Menschen, die gut mentalisieren können, sind resilienter“ so Böge. Wer also seine eigenen Gefühle und Wahrnehmungen spüren und darüber reden kann, kann auch das Verhalten und die Bedürfnisse seines Gegenüber besser verstehen und entsprechend darauf reagieren. „Die traditionellen Familienstrukturen haben sich aufgebrochen und die Kinder wachsen mit mehr Freiheitsgedanken auf. Es bleibt aber dabei: den Erziehungs- und Bildungsauftrag haben sowohl die Eltern als auch die Schule“, so Böge. Benötigt das Elternhaus Hilfe, werden Inja Möller und ihre Kollegen aus dem Jugendamt der Landeshauptstadt Kiel tätig. „Unser Ziel ist es stets, die Kräfte zu bündeln, um die Kinder im Regelsetting halten zu können“, sagte Möller. Schulsozialarbeiter nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein. Suizidale Gedanken, Essstörungen, Cybermobbing, ein minderes Selbstwertgefühl und Panikattacken können den Schulalltag belasten. „Die Lehrkräfte können einen Schüler mit Panikattacke nicht angemessen auffangen und dabei den Rest der Schulklasse sich selbst überlassen. Wir sind dann ansprechbar und übernehmen“ berichtete Sara Qazi Salgado, Schulsozialarbeiterin am Gymnasium Altenholz. Sie begrüßt das Projekt „Verrückt? Na und!“, da für sie eine Enttabuisierung psychischer Erkrankungen einen ausschlaggebenden Punkt bei der Behandlung, aber auch für die Prävention darstellt. „Ich würde mir wünschen, dass der Satz ´ich gehe zum Psychologen’ genauso normal ist wie der Satz `ich habe mir ein Bein gebrochen´“, so Qazi Salgado. Auch Dr. Manuela Richter-Werling, Gründerin des Vereins Irrsinnig Menschlich e.V., plädierte für eine Stärkung der Prävention. „Wenn es den Menschen zuhause und in der Schule gut geht, dann sind sie auch resilienter in Hinblick auf die Krisen von außen“, so Richter-Werling. Denn auch nach dem Ende der Corona-Pandemie werden Kinder und Jugendliche durch äußere Umstände wie den Krieg in der Ukraine, die Klimakrise oder Einsamkeit stark belastet. Die Lücke zwischen Hilfesuche, Hilfe finden und Hilfe annehmen ist laut Petra Gollnik vom Ministerium für Justiz und Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein immer noch zu groß. Denn wenn ein Betroffener sich öffnet, bedeute dies nicht, dass auch ein Therapieplatz zur Verfügung stehe. Zusätzliche Projekte und eine anhaltende Finanzierung seien daher maßgeblich für die Gesundheit der Bevölkerung in Schleswig-Holstein. „Wir haben viele tolle Projekte im Land, mit denen wir viel bewegen können. Wird die Finanzierung jedoch nach kurzer Projektphase wieder gestrichen, so hilft dies langfristig nicht. Wir brauchen Projekte, die auch auf kommunaler Ebene verstetigt werden“, sagte Dr. Sylvia Hakimpour-Zern vom Gesundheitsamt Kreis Segeberg. Krankenkassenübergreifende Projekte betreut Ariane Lieckfeldt von der Mobil Krankenkasse. Lieckfeldt zeigte sich erstaunt, dass die Beteiligten der Auftaktveranstaltung nicht durchgehend von den Projekten der anderen wussten und sprach sich für eine vertiefende Vernetzung der Akteure aus. „Wir müssen gemeinsam nach Lösungen suchen, um Kinder und Jugendliche mit psychischer Belastung frühzeitig unterstützen zu können“ sagte Prof. Kerstin von der Decken, Ministerin für Justiz und Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein, in ihrem Grußwort.

Das Fazit der Auftaktveranstaltung lautet für Gaby Erdmann, stellvertretende Vorständin des BKK-Landesverbandes Nordwest: Transparenz schaffen, Vernetzung verfestigen und Prävention durch gute Mentalisierung. „In dem Moment, wo sich ein Kind oder ein Jugendlicher öffnet, muss jemand da sein: eine Telefonnummer, ein Projektmitarbeiter oder ein Freund, der nicht stigmatisiert“, so Erdmann.
Text und Fotos: Astrid Schock