Inklusives Hospiz in Meldorf
HOSPIZ Ein Hospiz, in dem auch Menschen mit Behinderungen betreut werden und perspektivisch dort auch Beschäftigung finden können: Das gab es bundesweit noch nicht, bis im September das Hospiz in Meldorf eröffnet wurde. Hinter dem Projekt steht ein Verein mit einem Arzt an der Spitze und weiteren im Vorstand.
Rund zwölf Hospize gibt es in ganz Schleswig-Holstein, relativ gleichmäßig verteilt über die Kreise. In Dithmarschen gab es bis vor kurzem noch keines – das hat sich mit Eröffnung des Meldorfer Hospizes im September geändert. Das jüngste
Hospiz in Schleswig-Holstein weist eine Besonderheit auf, die bundesweit auffällt: In Meldorf sind die Mitarbeitenden so geschult, dass sie auch Menschen mit Behinderungen in deren letzter Lebensphase betreuen können – und perspektivisch auch mit Menschen mit Behinderungen zusammenarbeiten werden.
Dies kann als Gärtner, in der Küche und als mögliche Zukunftsperspektive auch im Tandem mit ausgebildeten Kräften in der Pflege geschehen. Zumindest kann sich Mit-Initiator PD Dr. Tilman von Spiegel das vorstellen. Von Spiegel ist Vorsitzender des Trägervereins des Hospizes und Arzt – bis vor kurzem noch Chefarzt der Anästhesie und Notfallmedizin am Westküstenklinikum Heide, seit ersten Juli Rentner.
Den Kontakt mit Menschen mit Behinderungen empfindet von Spiegel als Bereicherung. Dass Hospizeröffnung und Rente
fast zeitgleich passierten ist zwar Zufall, kommt ihm aber auch nicht ungelegen – schließlich fällt auch nach der offiziellen Eröffnung der Einrichtung noch jede Menge Arbeit für den Vorsitzenden an – auch wenn der Vorstand breit besetzt ist. Im Vorstand des Vereins und als Beisitzer engagieren sich gleich mehrere Menschen aus der Medizin: Der früher niedergelassene Allgemeinmediziner Dr. Jochen Pinker ist genauso dabei wie Palliativmediziner Dr. Olaf Wulfen, die gemeinsam mit Engagierten aus anderen Berufen wie etwa Intensivkrankenschwestern, Sozialarbeiterinnen und Steuerberatern das ungewöhnliche Projekt Inklusives Hospiz stemmen.
Sie erfuhren über Kontakte zur Stiftung Mensch von den Problemen, Menschen mit Behinderungen in ihrer letzten Lebensphase
zu betreuen. „Sie müssen anders betreut werden und dafür fehlt es in Krankenhäusern oder in Pflegeheimen oft an Zeit oder Qualifizierung“, sagt von Spiegel. Stiftung- und Hospizbeschäftigte hospitieren deshalb im jeweils anderen beruflichen Umfeld, lernen voneinander und kooperieren. Von Spiegel ist überzeugt, dass alle Seiten aber auch davon profitieren, wenn Menschen mit Behinderungen im Hospiz beschäftigt werden. „Der Input von Menschen mit Behinderungen kann für uns alle ein Gewinn sein“, sagt er.
Eine weitere Besonderheit, neben der Betreuung von Menschen mit Behinderungen, ist die Verbindung mit der Spezialisierten Ambulanten Palliativmedizinischen Versorgung (SAPV). Der Verein ist schon seit Jahren kreisweit für die SAPV in Dithmarschen zuständig und betreut rund 250 Menschen pro Jahr. Von Spiegel ist einer von mehreren Ärzten, die in der SAPV tätig sind. Manche Menschen, die in der SAPV betreut werden, kommen später in das Hospiz.
Dort stehen zwölf Zimmer zur Verfügung, von denen im November acht belegt waren. Bei voller Auslastung arbeitet das Hospiz mit 26 Vollzeitkräften. Die meisten Menschen im Meldorfer Hospiz haben eine onkologische Erkrankung im Endstadium, es gibt aber auch schwerste neurologische und chronische Erkrankungen wie COPD und Herzinsuffizienz im Endstadium. Probleme, für diese Arbeit Personal zu finden, gab es bislang nicht – gegen den allgemeinen Trend im Gesundheitswesen. Als Grund dafür vermutet von Spiegel: Im Hospiz hat das Personal Zeit für Zuwendung, die im Akutbereich oft fehlt.
Der Betrieb des Hospizes wird vom Verein über eine gGmbH organisiert. Von Spiegel ist seit zehn Jahren Vorsitzender des 1992 gegründeten und damit ältesten Hospizvereins in Schleswig-Holstein und hätte sich noch vor wenigen Jahren kaum träumen lassen, dass der Verein ein Projekt dieser Größenordnung realisieren könnte: Für das Hospiz wurden insgesamt 7,2 Millionen Euro investiert, rund vier Millionen Euro davon sind Fremdkapital, das der Bank über die Jahre zurückgezahlt werden muss. „Ich habe lange Zeit gesagt, ein Hospiz schaffen wir nicht“, erinnert sich von Spiegel. Kurz vor der Pandemie kam die Kehrtwende und der Verein startete durch. Es wurden öffentliche Mittel beantragt, Kontakte mit über 50 Behörden absolviert, mit dem früheren Klinikmanager und im Kreis bestens vernetzten Harald Stender ein wertvoller Projektkoordinator gewonnen. Dennoch sagt von Spiegel rückblickend: „Es gehörte wohl auch ein Schuss Naivität zu diesem Entschluss.“
Der sich aber auszahlte: Das freundliche neue Gebäude füllt eine Lücke – die nächsten Hospize befinden sich in Elmshorn, Rendsburg und Niebüll. Um einen dieser Standorte von Meldorf aus zu erreichen, sitzt man mindesten 50 Minuten lang im Auto. Zwischen Vorstandsbeschluss und Eröffnung lagen eine nicht vorauszusehende Kostensteigerung um 1,6 Millionen Euro und eine Pandemie. Von Spiegel ist nicht sicher, ob der Verein in Kenntnis dieser Ereignisse den Beschluss zum Bau auch gefasst hätte. Er konnte aber auch nicht ahnen, was der Beschluss an Rückhalt auslöste: Viel Bestätigung und finanzielle Unterstützung aus der Politik und der Bevölkerung. Die Mitgliederzahl des Vereins kletterte auf 550, er ist damit nach dem Sportverein der größte in der Region. Zahlreiche Aktionen aus der Gesellschaft für den Verein brachten Spenden. Von Spiegels Fazit: „Wir sind mit dem Hospiz an unsere Grenzen gegangen, haben aber auch viel zurückbekommen.“
Beeindruckt zeigte sich zur Eröffnung Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU), die dazu nach Meldorf gekommen war. Sie verwies auf die bis dahin noch bestehende Lücke in der Versorgung todkranker Menschen in Dithmarschen und gab zu bedenken, dass der Umgang mit schweren Erkrankungen und Tod viele Betroffene und Angehörige überfordert. Das Land unterstützte die Errichtung des Hospizes mit mehr als einer Million Euro. Klar sei: „Ein so großes Vorhaben wie diesen Hospizbau stemmt der Staat nicht allein – das geht nur im Verbund.“ Dazu zählte neben den vielen privaten Spendenaktionen u.a. eine Zuwendung in Höhe von einer halben Million Euro der Reemtsma-Stiftung. In den Vordergrund aber stellte die Innenministerin nicht das Geld, sondern die Menschen, die sich in Meldorf für das Projekt engagiert haben: „Sie haben hier in kurzer Zeit und mit großem persönlichem Einsatz einen Ort für friedliche Tage kurz vor Ende eines Lebens geschaffen.“
Dirk Schnack