Neue Vizepräsidentin

Den Weichenstellungen vorangegangen war die Entscheidung des ärztlichen Geschäftsführers Dr. Carsten Leffmann, in diesem Jahr in den Ruhestand zu gehen. Die Ärztekammer hatte für seine Nachfolge die Wahl aus einer ganzen Reihe von qualifizierten Bewerberinnen und Bewerbern, und der Vorstand entschied sich für Dr. Gisa Andresen. Diese Entscheidung wurde Ende März von der Kammerversammlung bestätigt. Die Anästhesistin und leitende Oberärztin an der Diako in Flensburg wechselt im Laufe des Jahres ins Hauptamt nach Bad Segeberg, wo sie von ihrem Vorgänger eingearbeitet wird. 

„Neugierig und unerschrocken“ wolle sie die neue Aufgabe angehen, kündigte Andresen an. Die Zustimmung unter den Kammerdelegierten war mehr als deutlich: 58 von 61 Kammerdelegierten waren für ihre Bestellung, Gegenstimmen gab es nur eine, zwei Enthaltungen. Andresen war 35 Jahre lang in der Gesundheitsversorgung tätig und viele Jahre in ehrenamtlichen Funktionen. Sie machte in ihrer kurzen Ansprache vor den Delegierten der Kammerversammlung deutlich, dass sie durch ihre rund fünf Jahre als Vizepräsidentin in der gesundheitspolitischen Szene im Land bereits gut vernetzt ist. Die Vergangenheit im Ehrenamt dürfte dazu beitragen, dass die Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamt auch künftig reibungslos funktioniert. Kein Zweifel: Die Tanzsportlerin kennt das Parkett, auf dem sie sich bewegt. Sie ist also „nahezu perfekt vorbereitet“ auf das neue Amt, wie es Andresen formulierte. 

Sie kündigte an, dass sie die Arbeit der bisherigen Geschäftsführung in weiten Teilen fortführen und eine „Strategie des behutsamen Aufräumens“ verfolgen werde. Oder mit anderen Worten: Zunächst möglichst viele der 178 Kammer-Mitarbeitenden „begleiten, um zu verstehen“ und „keinen Kopfstand wagen“. Andresens Herangehensweise ist nicht etwa Ausdruck von Zögerlichkeit, sondern von Erfahrung. Zu oft habe sie in ihrer beruflichen Laufbahn neue Vorgesetzte erlebt, die aufwendig alles umkrempelten, ohne Fortschritte zu erzielen. Stillstand allerdings wird es mit Andresen nicht geben: „Ohne Bewegung kein Fortschritt.“ 
Mit ihrem Wechsel ins Hauptamt musste eine neue Vizepräsidentin gewählt werden. Für dieses Amt gab es zwar mehrere Vorschläge aus der Kammerversammlung, von denen allerdings nur eine Bewerberin zur Wahl antrat: Prof. Doreen Richardt. Sie verfügt über Vorstandserfahrung und ist überdies durch den Vorsitz im Weiterbildungsausschuss bestens im vielleicht wichtigsten Aufgabenfeld einer Ärztekammer eingearbeitet. Richardt erhielt 55 Stimmen bei fünf Enthaltungen und einer ungültigen Stimme.
„Mir ist vor allem wichtig, die Ärztekammer Schleswig-Holstein als moderne Körperschaft zu präsentieren und den Arztberuf für junge Ärztinnen und Ärzte attraktiv zu halten. Deswegen setze ich mich verstärkt für eine strukturelle Weiterbildung ein. Ebenso werde ich mich auch dafür einsetzen, die Interessen der Ärzteschaft und unserer Selbstverwaltung zu wahren und voranzutreiben“, sagte Richardt. 

Präsident Prof. Henrik Herrmann, erster Gratulant nach der Wahl, sagte: „Ich bin davon überzeugt, dass sie mit ihrer großen Expertise und Erfahrung die Ärztekammer weiter stärken und vor allem auch vor dem Hintergrund der Krankenhausreform in der ärztlichen Weiterbildung Impulse setzen wird.“ 

Durch das Aufrücken Richardts zur Vizepräsidentin musste ihr freigewordener Platz im Vorstand nachbesetzt werden. Hierfür wurden zwei Kandidaten vorgeschlagen, die beide über Erfahrungen als Kammerdelegierte verfügen und die beide ins Rennen gingen: Dr. Stefan Apel und Dr. Peer-Gunnar Knacke. Die Mehrheit entschied sich für Knacke. Der Facharzt für Anästhesie und Notfallmedizin ist am Ameos Klinikum Eutin und als Ärztlicher Leiter des Rettungsdienstes im Kreis Ostholstein tätig. Seine bisherigen Erfahrungen in der Kammer sind positiv – vor der letzten Wahl hatte er gesagt: „Umfangreiche, manchmal sehr zeitintensive Diskussionen fruchten erfreulicherweise in guten Ergebnissen.“ 

Zeitintensiv war diesmal auch die 14 Punkte umfassende Tagesordnung, die inklusive Pause sechs Stunden benötigte. Weil manche Themen einfach Zeit und Diskussion erfordern, entschlossen sich die Delegierten, sich ab dem kommenden Jahr jedes Quartal und damit künftig vier Mal im Jahr zu treffen. Damit wollen sie mehr Raum schaffen für Themen wie etwa die Probleme in der hausärztlichen Versorgung. Wie groß diese und weitere Probleme durch gesundheitspolitische Rahmenbedingungen sind, verdeutlichte Präsident Prof. Henrik Herrmann in seinem Bericht. Er ging u.a. auf die Ankündigungen von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) ein, der eine Entbudgetierung im ambulanten Bereich angeblich „möchte“ – was das bedeutet, hatte er bis Redaktionsschluss jedoch nicht konkretisiert. Herrmann ließ keinen Zweifel daran aufkommen, wie wichtig eine Umsetzung dieser Ankündigung wäre: „Nicht nur für die Versorgungsrealität ist eine vollständige Entbudgetierung von großer Bedeutung, sondern auch für die Weiterbildung im ambulanten Bereich, die ebenfalls in Zukunft deutlich zunehmen wird. Dabei geht es insbesondere um die Vergütung der ärztlichen Tätigkeit in der Weiterbildung, die im hausärztlichen Bereich – mindestens 7.500 Stellen – und nur in eingeschränktem Maße im fachärztlichen Bereich – maximal 2.000 Stellen – über § 75a SGB V geregelt ist.“ Der Präsident zeigte sich vorsichtig in seiner Einschätzung, ob und wann aus dem Ministerium konkrete Schritte zur Umsetzung eingeleitet werden. 
Je nachdem, ob eine Entbudgetierung für alle, oder nur im hausärztlichen Bereich kommt, wird dies Auswirkungen auf die Vorwegabzüge und die Finanzierung der Weiterbildung im fachärztlichen Bereich haben. Dies könnte etwa eine Vorhaltepauschale für den Weiterbildungsaufwand und eine Bezahlung der ärztlichen Tätigkeit im Sinne eines Gehaltes durch die Kostenträger sein, zum Beispiel aus dem Gesundheitsfonds. Einfacher sei es im stationären Bereich, wo die ärztliche Vergütung in der Weiterbildung durch das Fallpauschalensystem und der Aufwand über das ärztliche Personalbemessungssystem ÄPS-BÄK aufgefangen werden. Herrmann verwies in diesem Zusammenhang auf den bevorstehenden Deutschen Ärztetag in Mainz, wo zur Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung ein Antrag mit den Vorstellungen der Bundesärztekammer vorgelegt wird. Die entsprechende Arbeitsgruppe leitet Herrmann gemeinsam mit der Vorsitzenden des Berufsverbandes Deutscher Internistinnen und Internisten, Christine Neumann-Grutzeck aus Hamburg.

Zum Thema ÄPS-BÄK berichtete Herrmann von zahlreichen Gesprächen auf Bundesebene, die er gemeinsam mit MB-Chefin Dr. Susanne Johna mit Bundestagsabgeordneten, DKG, Universitätsdirektoren, Landesministerien und in kleiner Runde auch mit Lauterbach geführt hatte. Dabei gab es Bedenken, aber auch die Erkenntnis, dass es ein vergleichbares ärztliches Personalbemessungssystem bislang nicht gibt – und dass Bedarf besteht. Herrmann sagte: „Das hat auch unser Bundesgesundheitsminister verstanden, der bislang nur die Facharztquote für den Rufdienst für die einzelnen Leistungsgruppen im Sinn hat, aber richtigerweise festgestellt hat, dass nicht nur die drei bis fünf Fachärztinnen und Fachärzte alle Leistungen erbringen können und es dafür einer differenzierten Betrachtung bedarf.“ 

Ob ÄPS-BÄK in den Gesetzgebungsprozess der Krankenhausreform hineinkommt, war noch nicht entschieden. Stichwort Klinikreform: Dem erstem, kurz vor der Versammlung an die Öffentlichkeit gelangten Entwurf bescheinigte Herrmann „durchaus begrüßenswerte Ziele“, etwa die vollständige unterjährige Tarifkostenrefinanzierung für alle Beschäftigungsgruppen. Auch soll bei der Ermittlung der Obergrenze für den Anstieg des Landesbasisfallwertes der volle Orientierungswert zugrunde gelegt werden. Aber: „Ein adäquater Ausgleich für die Inflationsentwicklung fehlt.“ Nicht nur das: eine finanzielle Unterstützung des Transformationsprozesses durch den Bund ist nicht vorgesehen und es wird – schon wieder – bürokratischer. 

Ein Detail aus dem Entwurf – die Mindestmengenregelungen – droht in der Versorgung zu einem Problem zu werden, wie Herrmann anhand Schleswig-Holsteins verdeutlichte. In der Thoraxchirurgie wird es landesweit nur noch drei Krankenhäuser geben, die die vorgeschriebene Menge erreichen. An der Westküste wird dies die thoraxchirurgische Versorgung „mehr oder weniger unmöglich machen“, stellte Herrmann fest. Und das, obwohl dort auch ohne die entsprechenden Eingriffszahlen bislang keine Qualitätsverschlechterung festgestellt werden konnte. Herrmann gab dazu zu bedenken: „Das führt nicht nur zu deutlich weiteren Wegen, sondern hat natürlich auch Rückwirkung auf Weiterbildungsbefugnisse. Deshalb sind die Mindestmengen kritisch zu sehen, ebenso die qualifizierte Facharztquote, da es unsicher ist, ob es überhaupt genügend entsprechende Qualifikationen gibt.“ So müsse etwa eine infektiologische Abteilung mindestens drei Facharztvollzeitäquivalente für Innere Medizin und Infektiologie beziehungsweise mit der Zusatzweiterbildung Infektiologie vorhalten. Von Ersteren gab es im gesamten Bundesgebiet Ende 2022 nur zehn. Ähnliches gilt für weitere Fachgebiete. Was sich am Gesetzentwurf noch ändert, war zum Zeitpunkt der Kammerversammlung unsicher. Herrmann sagte: „Aus dem direkten Gespräch mit dem Bundesgesundheitsminister habe ich mitgenommen, dass er an den Leistungsgruppen, den Mindestvorgaben und der Facharztquote mit Sicherheit nichts ändern will und er sich wenigstens in dieser Hinsicht vollkommen festgelegt hat.“ 

Ein ganz anderes Thema, das derzeit Bundes- und Landesebene bewegt, brachte der Delegierte Dr. Stefan Apel in die Kammerversammlung ein: Die Bundeswehr plant die Auflösung des Organisationsbereichs Zentraler Sanitätsdienst. Dieser soll in ein Kommando zusammen mit der Logistik unterhalb der Ebene militärischer Führungsrat eingegliedert werden. Zudem soll die Stelle des Inspekteurs des Sanitätsdienstes als oberster fachlicher Vorgesetzter allen Sanitätspersonals auf der Ebene des militärischen Führungsrates abgeschafft werden. Apel erläuterte der Versammlung, welche Folgen diese Umorganisation haben wird: die vom Standesrecht vorgegebene Weisungsfreiheit von Ärztinnen und Ärzten in ärztlichen Angelegenheiten wäre nicht mehr sichergestellt. In einem von Apel formulierten und von den Delegierten einstimmig unterstützten Schreiben bittet die Kammerversammlung Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) deshalb, eine durchgehende approbationsgebundene Führungs- und Weisungsstruktur sowie die Eigenständigkeit sanitätsdienstlicher Führung zu erhalten. 

Die Haltung zu diesem Thema war so eindeutig, dass es keiner Diskussion bedurfte. Ganz anders ein Spezialthema 
aus der Weiterbildung, das Prof. Doreen Richardt erläuterte: Es ging um die Behandlung polytraumatisierter Patienten im interdisziplinären Team – was derzeit in der Befugniserteilung Probleme bereitet. Die Kammer hat Zweifel, ob die für diese kleine Handlungskompetenz erforderliche Qualifizierung im ambulanten Setting – wie behauptet – stets vorhanden ist und zögert deshalb bei der Befugniserteilung. Eine bundesweite Umfrage hierzu brachte Ergebnisse, die nicht nur den Weiterbildungsausschuss, sondern auch die Kammerversammlung nachdenklich machte. Denn die Umfrage brachte unabhängig vom „Nischenthema“ ein klares Ergebnis: Viele Ärztinnen und Ärzte halten es für sinnvoll, dass stationäre Pflichtzeiten wieder eingeführt werden, damit bestimmte Fähigkeiten auf jeden Fall vermittelt werden können. Die Reaktionen in der Diskussion zeigte, dass dieser Schritt von vielen Unterstützung erhalten würde und dass dies nicht nur für die Augenheilkunde gilt. Die Äußerungen von Dr. Rebecca Herzog, Dr. Christoph Weiß-Becker, Mark Weinhonig, Anna Sophia Bauch und weiteren Delegierten zeigten, dass sie einem „Schritt zurück“ in der Weiterbildung zu stationären Pflichtzeiten aufgeschlossen gegenüberstehen.
 
Weitere Themen waren u.a. die ab Mai geltende neue Schlichtungsordnung (Veröffentlichung im Maiheft) und die Finanzen. Dr. Hendrik Schönbohm stellte als Finanzausschussvorsitzender erfreuliche Zahlen vor: Mehr als 800.000 Euro nicht verbrauchter Etatmittel wurden in die Rücklage überführt. Zum voraussichtlich letzten Mal stellte der ärztliche Geschäftsführer Dr. Carsten Leffmann den Tätigkeitsbericht vor. Die vielleicht wichtigste Zahl: Die Ärztekammer hatte zum Jahresende 2023 insgesamt 20.189 Mitglieder aus 104 Ländern. Der Gesamtbericht wird online zur Verfügung gestellt.
Dirk Schnack