Rentenempfänger wollen mitreden
Was hat zur Gründung der RiV geführt?
Dr. Peter Boll: Viele von uns eint, dass sie mit den Erhöhungen der Renten im Versorgungswerk nicht zufrieden waren. In den letzten zehn Jahren fielen der Erhöhungen nur sehr gering aus. Die Begründung dafür hat uns nicht zufriedengestellt. Auch die Informationen, die wir dazu bekamen, haben uns nicht wirklich geholfen. Als dann ein Leserbrief der Kollegin Stefanie Spitzner im Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt abgedruckt wurde, ermöglichte uns das, uns auszutauschen und zu vernetzen. Das hat zu einem Treffen geführt, aus dem die RiV entstanden ist.
Dr. Stefanie Spitzner: Ich habe den Leserbrief schon in der Annahme geschrieben, dass es viele Kolleginnen und Kollegen geben wird, die ebenfalls in Sorge um den Kaufkraftverlust ihrer Altersbezüge bzw. ihrer zukünftigen Renten sind. Deshalb bin ich den ungewöhnlichen Weg gegangen und habe um Veröffentlichung meiner Mailadresse gebeten. Die Resonanz darauf hat mir gezeigt, dass ich keine Einzelmeinung vertrete.
Dr. Uwe Bannert: Das Thema hat viele Kolleginnen und Kollegen schon länger beschäftigt. Durch das Treffen hat sich bei mir der Eindruck verstärkt, dass die Unzufriedenheit in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Ich finde das verständlich – ich bin selbst unzufrieden. Zugleich finde ich es bedauerlich. Denn wir wollen ja ein starkes Versorgungswerk. Dazu wollen wir mit unserer Initiative beitragen.
Was genau könnte man denn aus Ihrer Sicht verbessern?
Spitzner: Zum Beispiel sollte den Mitgliedern die Verwendung der freien Überschüsse regelmäßig mitgeteilt werden. Dieses Geld stünde theoretisch zur Verfügung, um sowohl die Altersbezüge als auch die Anwartschaften stärker zu erhöhen. In den vergangenen Jahren sind diese Mittel dafür nur sehr in sehr geringem Ausmaß genutzt worden.
Sind ihre Forderungen inzwischen erfüllt worden?
Spitzner: Nur zum Teil. Wir wissen leider erst seit einem Treffen gestern (Anmerkung der Redaktion: am 17. April) und auch nur für das Geschäftsjahr 2022, wie die Mittel aus den freien Überschüssen verwendet wurden. Die letzte Erhöhung lag zwar endlich über den extrem schwachen Anhebungen der Vorjahre, aber dennoch deutlich unter der Preissteigerung und auch deutlich unter der Erhöhung der Gesetzlichen Rentenversicherung.
Taugt die Gesetzliche Rentenversicherung als Vergleich? Die Renten im Versorgungswerk sind im Durchschnitt doch deutlich höher.
Boll: Die Anfangsrenten sind höher, das stimmt. Wenn aber dauerhaft kaum erhöht wird, verringert sich der Abstand kontinuierlich. Da befinden sich die Rentner im Versorgungswerk in keiner komfortablen Lage: Einerseits hat die Inflation zu einem Kaufkraftverlust geführt, zugleich sind die Abstände zur gesetzlichen Rentenversicherung spürbar geringer geworden. Deshalb sind viele von uns der Meinung, dass das Versorgungswerk mehr für die aktuellen Altersbezüge hätte tun können.
„Wir sind für ausgewogene Entscheidungen zwischen Vorsorge und Versorgung.“
Dr. Uwe Bannert
„Transparenz ist unabdingbar. Da gibt es aus meiner Sicht noch viel Luft nach oben.“
Dr. Stefanie Spitzner
„Unsere Initiative zielt darauf ab, dass es wieder zu einem gerechten Ausgleich kommt.“
Dr. Peter Boll
Es wird jedes Jahr neu entschieden, wie die freien Überschüsse verwendet werden. Ist es nicht legitim, vorsichtig zu sein und zwingend notwendig, Rücklagen für die nächste Generation zu bilden?
Bannert: Das wollen wir auch nicht verhindern! Darum geht es nicht, sondern um eine gerechte und transparente Verteilung dieser Mittel. Es war für uns bislang nie möglich nachzuvollziehen, in welchem Ausmaß das Versorgungswerk aus den Überschüssen eher zusätzliche Rücklagenbildungen oder eher Stärkungen der Altersbezüge bzw. der Anwartschaften betreibt, die ja immer in gleicher prozentualer Höhe verändert werden. Ein Gegensatz besteht also nicht zwischen „Rentnern“ und „Beitragszahlern“, sondern zwischen Erhöhungen von Anwartschaften und Renten versus Zuführung von erzielten Gewinnen in zusätzliche Rücklagen. Seit etwa 10 Jahren erfolgte ein forcierter Aufbau einer inzwischen beträchtlichen Gewinnrücklage zur langfristigen Absicherung gegen zukünftige Kapitalmarktschwächen. Im gleichen Zeitraum wurden Anwartschaften und Renten trotz sehr stark steigender Inflation nur um durchschnittlich etwa 0,4 % jährlich erhöht. Wir sind für ausgewogene Entscheidungen zwischen Vorsorge (zusätzliche Rücklagenbildungen) und Versorgung (Erhöhungen von Anwartschaften und Renten).
Boll: Das Versorgungswerk hat zwei Aufgaben, die gleich zu gewichten sind: Die Vorbereitung einer möglichst hohen Altersrente für die nächste Generation der jetzigen Beitragszahler und die Versorgung der aktuellen Rentenempfänger mit einer auskömmlichen Rente. Seit 2016 hat das Versorgungswerk aus unserer Sicht diese beiden Aufgaben nicht gleichstark gewichtet und die Entscheidungen eher zugunsten der aktuellen Beitragszahler getroffen. Unsere Initiative zielt darauf ab, dass es wieder zu einem gerechten Ausgleich kommt. Zugleich erkennen wir an, dass es für das Versorgungswerk in den vergangenen Jahren deutlich schwieriger geworden ist, Gewinne in einer Höhe zu erwirtschaften, die eine zufriedenstellende Erfüllung beider Aufgaben ermöglicht.
Aber die Altersbezüge sind ja schon mit einem Rechnungszins von 4 % kalkuliert und fallen deshalb höher aus als die Gesetzliche Rente ...
Boll: Das bedeutet aber nicht, dass freie Überschüsse einseitig zu Gunsten der späteren Rentenempfänger zurückgelegt werden. Hier erwarten wir Solidarität, die wir mit unseren Beitragszahlungen auch geleistet haben. Wer heute Rente im Versorgungswerk bezieht, hat zuvor mit seinen Beiträgen Renten für ältere Ärzte ermöglicht, die niemals in das Versorgungswerk eingezahlt hatten. Und man muss bedenken, dass der jetzige Kapitalstock des Versorgungswerkes zu einem beträchtlichen Teil durch unsere Beiträge ermöglicht wurde. Der Vorwurf, wir wären mit unserer Forderung nicht solidarisch, ist deshalb aus meiner Sicht nicht haltbar. Überhaupt halte ich es nicht für legitim, daraus einen Konflikt der Generationen zu machen. Wir wollen bestimmt nicht, dass die heutige
Generation der Beitragszahler keine auskömmlichen Renten mehr bekommt. Diese
Gefahr in Zusammenhang mit unserem Interesse heraufzubeschwören, wäre ungerechtfertigt.
Spitzner: Damit solche Vorwürfe gar nicht erst aufkommen und alle Altersgruppen im Versorgungswerk weiterhin gut aufgehoben sind, ist Transparenz unabdingbar. Da gibt es aus meiner Sicht noch viel Luft nach oben. Seit unserem Gespräch gestern wissen wir mehr und haben Einblick in manche Daten bekommen, aber längst nicht in alle. Wiederholt wird zum Beispiel auf die Sterbetafeln verwiesen, die als Grundlage für die versicherungsmathematischen Kalkulationen dienen. Diese wurden u.a. als Begründung für die (nahezu komplett) fehlende Erhöhung von Rentenanteilen der freiwilligen Höherversicherung angeführt. Diese Sterbetafeln möchten wir einsehen und die dahintersteckenden Kalkulationen erfahren. Wir erhielten bisher keinen Zugang zu diesen Tafeln unter Hinweis auf eine „Geheimhaltungspflicht“. Ohne sie wird uns jedoch die Argumentation erschwert.
Boll: Wir haben den Anspruch, solche Informationen zu bekommen. Wir wollen zumindest die Möglichkeit erhalten, uns in diese sicherlich komplizierte Materie einzuarbeiten. Natürlich können wir nach drei Monaten nicht auf dem gleichen Kenntnisstand sein wie jemand, der sich seit zehn Jahren in den Gremien des Versorgungswerkes damit beschäftigt. Aber deshalb kann man uns den Anspruch nicht absprechen, Einsicht in die Unterlagen zu nehmen, die als Grundlage für Entscheidungen dienen.
Die Gremien des Versorgungswerkes sind von der Ärzteschaft in Schleswig-Holstein demokratisch gewählt. Sie haben von den Wählenden die Aufgabe bekommen, diese Entscheidungen zu treffen ...
Bannert: ... die wollen wir den Gewählten nicht absprechen. Aber zur Demokratie gehören auch Transparenz und die Verpflichtung, den Wählern darzulegen, warum man so und nicht anders entschieden hat. Und die demokratische Wahl der Gremien steht ja nicht im Widerspruch dazu, Initiativen aus dem Mitgliederkreis anzuhören und einzubeziehen. Das gehört aber ebenfalls zu unserem Anspruch: Wir möchten laufend einbezogen werden.
Hat das Treffen mit den Spitzen des Versorgungswerkes geholfen?
Bannert: Das Gefühl habe ich auf jeden Fall. Es war gut, dass es zu diesem Austausch unter Moderation des Präsidenten Prof. Henrik Herrmann gekommen ist. Wir konnten unsere Standpunkte darlegen und ich glaube, wir sind damit auch auf Verständnis gestoßen. Wir haben ein weiteres Treffen vereinbart. Diese Art des Austauschs ist neu und ich kann mir vorstellen, dass es auch langfristig zu einer besseren Verständigung beitragen wird. Ich persönlich habe mich in ausführlichen persönlichen Gesprächen mit Mitarbeitern des Versorgungswerkes immer gut beraten gefühlt und den Eindruck gewonnen, dass man uns die komplexen Zusammenhänge auch erklären möchte.
Es ist schade, dass es dem Versorgungswerk in der Vergangenheit nicht gelungen ist, diesen Eindruck jedem Mitglied zu vermitteln. Zusammen mit den niedrigen Erhöhungen hat das erheblich zur negativen Stimmung beigetragen. Wir haben aber kein Interesse an einer Rufschädigung des Versorgungswerkes – im Gegenteil.
Im Interview hat das Versorgungswerk zur Geschlechtergerechtigkeit dargelegt, dass vergleichbare Erwerbsbiografien von Männern und Frauen zu ähnlich hohen Altersbezügen führen. Spielt das Thema für Sie dennoch eine Rolle?
Spitzner: Auf jeden Fall. Das Thema ist für mich nicht ausreichend behandelt. Ich bewerte Elemente der Satzung so, dass Frauen früher benachteiligt wurden. Auch wenn einige Satzungselemente inzwischen geändert wurden, ist die jahrelange Benachteiligung damit ja nicht ausgeglichen. Leider bekomme ich dazu vom Versorgungswerk bislang noch keine Zahlen, was ich sehr bedauere. Aber ich werde weiter nachhaken und halte es für erforderlich, dass es auch zu diesem Thema weitere Gespräche gibt.
Vielen Dank für das Gespräch.
RiV
Die Renten im Versorgungswerk (RiV) ist ein Zusammenschluss von bisher rund 130 Mitgliedern des Versorgungswerkes der Ärztekammer Schleswig-Holstein, die Fragen zur Altersvorsorge an die Einrichtung haben. Vier Sprecher – Dr. Stefanie Spitzner (Lübeck), Dr. Uwe Bannert (Bad Segeberg), Dr. Peter Boll (Rendsburg) und Annette Luise Schmitz (Lübeck) – vertreten die Interessengemeinschaft nach außen, etwa in Gesprächen mit dem Versorgungswerk. Alle Mitglieder der RiV haben sich mit Namen und Adresse registriert. Der im Februar gegründete Zusammenschluss ist kein Verein, erhebt keinen Mitgliedsbeitrag und steht weiteren interessierten Mitgliedern des Versorgungswerkes – auch nicht berenteten – offen. Interessierte können sich an folgende Mailadresse wenden: praxis@s-spitzner.de