Dr. Waltraud Anemüller

Diskussion

Viele Delegierte hatten den Präsidenten nach der letzten Kammerversammlung im September auf seine Emotionalität angesprochen – Prof. Henrik Herrmann, sonst ruhig und ausgewogen, wirkte damals angefasster als gewöhnlich. Grund war die kontroverse und intensive Diskussion über ein Thema, das zuvor auf Bundesebene über Monate mit den Fachgesellschaften mühsam konsentiert worden war und dann in Bad Segeberg erneut infrage gestellt wurde: Die Frage, ob für die Teilnahme an gesponsorten Veranstaltungen mit großen Überschüssen weiterhin Fortbildungspunkte vergeben werden sollten. 

Der Deutsche Ärztetag hatte sich auf ein Nein verständigt, nun geht es in den Landesärztekammern um die regionale Umsetzung. Seit dem 27. November steht fest: Schleswig-Holstein gehört zu den ersten Landesärztekammern, die diesen Weg gehen. Mit großer Mehrheit sprachen sich die Delegierten zunächst gegen eine Verschiebung dieser Entscheidung aus und dann für den Weg, den der Vorstand vorgeschlagen hatte. Das heißt: Gesponsorte Fortbildungen sind weiterhin möglich. Auch Fortbildungspunkte können dafür vergeben werden – künftig allerdings nur noch, wenn die Veranstalter transparent darstellen, dass sie mit den Sponsorengeldern keine großen Überschüsse erwirtschaften. 

Der wichtigste Grund für diese Entscheidung: Die Ärzteschaft will damit Vorwürfen vorbeugen, sie mache Entscheidungen von der Mittelvergabe der Industrie abhängig. Die Befürchtung von ärztlicher Seite ist, dass die Politik dieses Argument ins Feld führen könnte, um das System der Fortbildungspunkte zu diskreditieren und damit – wie etwa in Großbritannien – eine regelmäßig wiederkehrende Facharztprüfung zu verlangen. Zur Erinnerung: Nur mit dem Fortbildungspunktesystem hatte die Ärzteschaft einst diese politische Forderung verhindern können.
Nicht in allen Fach- und Berufsverbänden ist man glücklich mit dieser Entscheidung. Chirurg Dr. Christian Hirschner hatte seine Vorbehalte schon in der vergangenen Sitzung deutlich gemacht: Die Überschüsse fließen in die Leitlinienarbeit, die ohne diese Mittel leiden könne. Dr. Bernhard Bambas, Landesvorsitzender der Augenärzte in Schleswig-Holstein, befürchtet Nachteile für manche Kongresse, weil ohne die Fortbildungspunkte weniger Ärztinnen und Ärzte zur Teilnahme motiviert sein könnten. 

Allerdings: Veranstaltungen in Schleswig-Holstein sind praktisch nicht betroffen, weil es keine Kongresse mit entsprechenden Überschüssen gibt. Beispiel Gynäkologie: Susanne Bechert vom Berufsverband der Gynäkologen stellte klar, dass dessen jährliche Fortbildungstagung zwar Sponsoren benötigt, die Mittel aber nur zur Kostendeckung reichen. Damit werden die Teilnehmenden weiterhin Fortbildungspunkte erhalten. „Wir haben kein Problem mit der Transparenz“, sagte Bechert. 

Der Delegierte Mark Weinhonig aus Niebüll berichtete, dass er viele Anrufe von Kolleginnen und Kollegen aus Verbänden bekommen habe mit der Aufforderung, die Regelung der Bundesebene abzulehnen. Er stellte aber klar: „Wenn wir großen Firmen erlauben, Sponsoring im Übermaß zu betreiben, müssen wir uns den Vorwurf gefallen lassen, bestechlich zu sein.“ Dr. Waltraud Anemüller aus Lübeck, Stephanie Liedtke aus Bad Segeberg und Katja Reisenbüchler aus Meldorf zeigten sich überrascht, dass nennenswerte Überschüsse in die Arbeit einzelner Verbände fließen und sprachen sich wie Weinhonig für die Vorstandslinie aus. Dr. Georg Engelbart aus Lübeck sieht im Sponsoring von Kongressen eine Verschleierung der Mittelvergabe: „Warum macht man nicht kenntlich, wofür diese Überschüsse verwendet werden?“
Dem deutlichen Votum für die Trennung von Fortbildungspunkten und Sponsoring-Überschüssen werden nach Überzeugung von Herrmann auch die anderen Landesärztekammern in absehbarer Zeit folgen, sodass entsprechende Kongresse sich nicht auf wenige Standorte in Deutschland konzentrieren werden.

Unterschiedliche Meinungen gab es auch zum Thema Digitalisierung des Ärzteblattes. Yannek Drees, kaufmännischer Geschäftsführer der Ärztekammer Schleswig-Holstein, machte die Ausgangslage klar: Eine Mitgliederbefragung hatte, wie berichtet, u.a. gezeigt, dass zwei Drittel der Mitglieder Informationen von der Ärztekammer in erster Linie über das Ärzteblatt bezieht. Damit ist es das wichtigste Medium für den Kontakt zu den Mitgliedern. Bislang gibt es das Ärzteblatt in Print, es wird an jedes Mitglied per Post verschickt, wenn sich das Mitglied nicht aktiv aus dem Verteiler abmeldet. Das bedeutet: Fast 18.000 Mitglieder und Entscheidungsträger aus dem Gesundheitswesen bekommen die im Blatt enthaltenen Informationen bislang zehn Mal im Jahr in gedruckter Form in den Briefkasten. In digitaler Form kann man das Blatt bislang lediglich im pdf-Format auf der Homepage der Ärztekammer herunterladen. 

Zugleich sind die Kosten für den Druck und für das Porto in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen, der Markt für Stellenanzeigen ist rückläufig und es hatte einen Beschluss der Kammerversammlung gegeben, bei allen Entscheidungen den Nachhaltigkeitsgedanken zu verfolgen.  

Also ein rein digitales Ärzteblatt? Dagegen gab es Vorbehalte. Viele Delegierte – und zwar unabhängig vom Alter – befürchten, dass eine digitale Variante weniger Resonanz finden könnte als die Printversion. Annett Schmidt etwa gehört zu denen, die sich nach dem volldigitalisierten Berufsalltag abends gerne vom Bildschirm lösen und deshalb die Papiervariante bevorzugen. Paul Eppert, ein „Digital Native“,
sprach sich trotz der Kosten für die Papiervariante aus: Er rechnete die Kosten auf jedes Heft herunter und kam auf weniger als zwei Euro – das sollte das Ärzteblatt der Kammer wert sein, findet er. Auch Katja Reisenbüchler macht digitales Lesen weniger Spaß – sollte man deshalb, wie Reisenbüchler scherzhaft vorschlug, mit der Umstellung warten, bis die „Dinosaurier“ ausgestorben sind?

Drees hatte gute Argumente dagegen. Er präsentierte ein von einer Arbeitsgruppe aus Haupt- und Ehrenamt erstelltes digitales Konzept, das Lust aufs Lesen der künftigen Digitalvariante machte. Geplant ist ein ePaper, das deutlich mehr Funktionen hat als ein pdf und damit lesefreundlicher ist. Geplant ist auch ein Web-Magazin auf Artikelbasis, das besonders den Lesegewohnheiten der jüngeren Generation entgegenkommt. Und es wird an einer Smart App gearbeitet, die den Nutzern die Artikel künftig auf das Mobiltelefon schickt. Diese 
App wird gepaart mit Zusatzfunktionen, die die Kommunikation mit der Kammer vereinfachen. Einen sofortigen Bruch soll es nicht geben, Drees nannte einen Übergangszeitraum bis Mitte 2026, in dem es weiterhin die gewohnte Printausgabe geben wird. 

„Sie haben mich abgeholt“, sagte der Delegierte Dr. André Kröncke nach Drees' Vortrag. Auch Dr. Georg Engelbart, der sich zunächst indifferent zur Einstellung der Papierversion gezeigt hatte, war am Ende überzeugt. Dr. Christian Hirschner gab zu bedenken, dass Ärztinnen und Ärzte in nahezu papierlosen Praxen arbeiten – dann hält er es auch für möglich, sie von einem digitalen Ärzteblatt zu überzeugen. Aber wird die Wahrnehmung nicht dennoch stark nachlassen? Erste Erfahrungen hat die KV Schleswig-Holstein mit ihrem Nordlicht gesammelt. Vorstands­chefin Dr. Bettina Schultz berichtete, dass die Befürchtungen nicht eingetreten seien. Die bisherigen Klickzahlen seien zwar ausbaufähig, aber Interesse sei vorhanden. Ein starkes Argument für die digitale Variante sind – nach dem kostenintensiven Aufbau – die geringeren Kosten. Mark Weinhonig sagte: „Wieviel ist es uns wert, ein Printmedium zu haben? Wir müssen auf unsere Finanzen achten.“ Am Ende fiel die Entscheidung deutlich aus: 56 Delegierte sprachen sich für das vorgestellte Konzept aus. Das bedeutet, dass das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt in der Papierversion noch bis Sommer 2026 weiterhin zu den Mitgliedern geliefert wird. Anne Schluck aus dem Vorstand setzt auf diesen Übergangszeitraum, um die Skeptiker einzubinden, ihre Bedenken aufzunehmen und sie ebenfalls zu überzeugen. 

Das könnte etwa über die Agile Kammer passieren. Dieses Konzept, mit dem sich Kammerabgeordnete und bei Interesse ihre Vertreter zu unterschiedlichen Themenkreisen über digitale Medien austauschen können, will Teipel neu aufleben lassen. Ein erster Anlauf erfuhr wenig Resonanz; Ideen und Projekte, die dort entstanden, versandeten. Teipel warb jetzt für ein Pilotprojekt mit sechs Arbeitsgruppen. Die Kammerversammlungsmitglieder können wählen, wie sie sich einbringen. Jeder Arbeitsgruppe ist ein Vorstandsmitglied zugeordnet: Vizepräsidentin Prof. Doreen Richardt kümmert sich um Berufsordnung und -ausübung, Anne Schluck um Nachhaltigkeit, Dr. Christine Schwill um Gesundheitsversorgung, Dr. Victoria Witt um Digitalisierung, Dr. Peer-Gunnar Knacke um Fortbildung und Hannah Teipel um Kommunikation. Jetzt soll es in eine Testphase gehen, in der Märzversammlung soll über die Erfahrungen berichtet werden. 
Zu den weiteren Themen, über die die Delegierten diskutierten und entschieden, gehörten die von Dr. Gisa Andresen vorgestellten neuen Ärztlichen Stellen, das Versorgungswerk und die Finanzen. Dr. Hendrik Schönbohm, Vorsitzender des Finanzausschusses, verwies auf eine stabile Finanzlage der Kammer, was sich auch an dem seit Jahrzehnten unveränderten Hebesatz von 0,6 % ablesen lässt.

Ganz ohne Gesundheitspolitik kam die Kammerversammlung nicht aus, auch wenn nach dem Bruch der Berliner Regierungskoalition viele der vom noch amtierenden Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach geplanten Vorhaben nicht mehr umgesetzt werden. Kammerpräsident Prof. Henrik Herrmann verwies auf die turbulente Entscheidung in Bundestag und Bundesrat in Sachen Klinikreform (Seiten 22,23) – am Ende das einzige jetzt noch vom Bundestag verabschiedete Gesundheitsgesetz dieser Legislaturperiode, nachdem das Ministerium zuvor mit einer Flut von Gesetzesvorhaben das komplette Gesundheitswesen in Atem gehalten hatte. Zu den Themen, die jetzt verschoben sind, gehören die Entbudgetierung im ambulanten Bereich und die Notfallreform. Beides ist nach Überzeugung des Präsidenten unbedingt erforderlich, allerdings nicht im Stile Lauterbachs, sondern „alles mit einem transparenten, klaren und sicheren Fahrplan.“

Hoffnung macht dem Präsidenten der Umgang der Akteure in Schleswig-Holstein, wo man nach seinem Eindruck „transparent und kompetent mit der medizinischen-ärztlichen Versorgung im Land umgeht“. Das zuständige Ministerium habe eine Bedarfsanalyse für das Bundesland in Auftrag gegeben, die Versorgungsbedarf und Inanspruchnahme untersucht hat. In der dazu einberufenen Arbeitsgruppe sitzen u.a. Vertreter der Krankenkassen, des Landkreis- und des Städtetages, der Kranken­hausgesellschaft, der Kassenärztlichen Vereinigung und der Ärztekammer – laut Präsident ein „kleiner, gut ausgesuchter Kreis ohne Krankenhausgeschäftsführungen.“ Im nächsten Jahr sollen die aus der Analyse erarbeiteten Konsequenzen für die Krankenhausplanung im Land vorgestellt werden.

Auch ohne Wahlen kam die Kammerversammlung nicht aus: Die Delegierten für den nächsten Deutschen Ärztetag, der 2025 in Leipzig stattfinden wird, mussten bestimmt werden. Traditionell werden fünf der neun Plätze, die Schleswig-Holstein dort zustehen, von den Vorstandsmitgliedern besetzt, vier mussten gewählt werden. Aus acht Kandidaten wählte das Parlament in geheimer Abstimmung Solveig Voran, Franziska Fick, Dr. André Kröncke und Dr. Hendrik Schönbohm. Auch ein neues Mitglied für den Weiterbildungsausschuss musste gewählt werden: Dr. Christoph Weiß-Becker folgt auf Dr. Georg Engelbart, der aus persönlichen Gründen ausscheidet.

Dirk Schnack