Felix Behrendt

Lebendige Prävention durch Klinikärzte

Wer von euch kommt mit dem Fahrrad zur Schule?“ fragt Dr. Felix Behrendt, Oberarzt in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Schön Klinik in Neustadt, 100 Schüler der zehnten Klassen des Küstengymnasiums in Neustadt. Viele Meldungen stolzer Schülerinnen und Schüler sind zu sehen. „Und wer von euch fährt mit Helm?“ Die meisten Meldungen verschwinden. „Und an diejenigen, die keinen Helm tragen, warum nicht?“ Ein Schüler meldet sich und räumt ein, dass ihm das Aufsetzen des Helmes einfach zu umständlich sei. Ob auch die Zerstörung seiner Frisur eine Rolle spiele? – ein kurzes Kopfnicken als Antwort. 

Behrendt zeigt Verständnis, – auch er habe sich früher über eine zerstörte Frisur geärgert – präsentiert dann jedoch eine Zahl aus dem American Journal of Surgery: Das Risiko eines schweren Schädel-Hirn-Traumas kann durch das Tragen eines Fahrradhelmes um die Hälfte reduziert werden. Was genau ist ein Trauma, was geschieht bei einer Hirnblutung und wie wirken Drogen und Alkohol auf den Körper? Im Rahmen des Präventionsprogrammes DRUG: Drogen – Risiken – Unfall – Gefahren erhielten die Zehntklässler des Küstengymnasiums Neustadt theoretisch und praktisch Einblicke in die psychiatrische, notfallmedizinische und rettungsdienstliche Arbeit. 
Das Projekt wurde von Dr. Felix Behrendt und Christian Schultz, Leitender Oberarzt in der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin der Schön Klinik in Neustadt, initiiert und koordiniert. Im März startete das Projekt, wurde nun überarbeitet und erweitert. Von ursprünglich 30 Schülern konnte die Gruppe auf 100 aufgestockt werden. Nach Kurzvorträgen zur Einführung in die Projektinhalte wurden die Inhalte an vier Stationen auf dem Klinikgelände der Schön Klinik vertieft.

„Wir wollen die Schüler, die alle zwischen 15 und 16 Jahre alt sind, in der passenden Lebensphase und mit der vorherrschenden Lebenserfahrung genau mit den Themen abholen, die sie gerade beschäftigen: der erste Kontakt zu Alkohol und/oder Drogen, das unbedachte Einsteigen in ein Auto, das von einem betrunkenen Freund geführt wird oder auch die nicht nachvollziehbare Entscheidung gegen einen Fahrradhelm“, so Behrendt.  
„Wieviel Alkohol ist in Ordnung, ab wann gelte ich als süchtig?“ fragte Dr. Daniel Ehmke, Ärztlicher Direktor des Ameos Klinikums für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Neustadt, die Jugendlichen. Die Schüler waren sich uneinig, die Antworten variierten von „gar kein Alkohol ist gesund“ bis hin zu „fünf Bier schaden schon nicht“. Ehmke zeigte mit einer einfachen Beispielrechnung, dass schon 0,5 Liter Bier den empfohlenen Tageskonsum von 24 g Alkohol/Tag bei Männern und 12 g Alkohol/Tag bei Frauen der Weltgesundheitsorganisation weit überschreitet. Ob eine Abhängigkeit vorliegt, sei an verschiedenen Kriterien zu erkennen: 

  • Wunsch/Zwang zum Substanzkonsum
  • Kontrollverlust
  • Körperliches Entzugssyndrom
  • Toleranzentwicklung
  • Vernachlässigung anderer Interessen

Fortgesetzter Substanzkonsum trotz schädlicher Folgen

„Bemerkt ihr bei euch mindestens drei dieser Kriterien innerhalb des letzten Jahres, spricht man von einer Abhängigkeit – und das kann nicht nur von Drogen und Alkohol sein, sondern bspw. auch von Schokolade“ so Ehmke. Er erläuterte den Schülern, dass auch Cannabis – trotz des legalisierten Konsums in Deutschland – keine ausreichenden Vorteile bietet und daher bestenfalls gar nicht konsumiert wird. Wird Cannabis konsumiert, steige das Risiko, an einer Psychose zu erkranken, um 10 %. Wie sich eine Psychose anfühlt, konnten die Schüler im anschließenden praktischen Teil in der Schön Klinik mit Kopfhörern, die das Hören von Stimmen simulierten, selbst erleben. Die Schüler waren sich einig: das möchte niemand wirklich am eigenen Leib erleben müssen. 

Eine weitere Station des praktischen Teils: Autofahren mit und ohne Alkoholpegel. Der ADAC stellte einen Fahrsimulator zur Verfügung und die Schüler absolvierten eine Strecke mit Gefahrenstelle. Die Reaktionsgeschwindigkeit wurde gemessen und anschließend unter gleichen Umständen mit Alkoholgehalt im Blut simuliert. Den Schülern stand zudem eine Promillebrille zur Verfügung, mit der versucht wurde, einen Ball zu fangen. Auch hier zeigten sich die Schüler erschrocken über die Auswirkungen von schon geringen Mengen Alkohol auf die eigene Reaktionsgeschwindigkeit und Wahrnehmung. 

Die Stationen des Projektes simulierte den Weg eines möglichen Patienten: nachdem dieser zunächst Alkohol/Drogen konsumiert, dann ins Fahrzeug steigt und einen Unfall verursacht, wird er anschließend von Rettungskräften erstversorgt. Andreas Tilse, Christian Höch und Viola Bizjak vom Rettungsdienst Schleswig-Holstein standen den Schülern mit einem Rettungswagen vor Ort für Fragen zur Verfügung. Tilse erläuterte, welche Schritte nach dem Eintreffen an einer Unfallstelle vollzogen werden müssen, welche Materialien genutzt und welche Medikamente häufig verabreicht werden. Nachdem der Patient erstversorgt wurde, wird dieser mit dem Rettungswagen, Rettungshubschrauber oder einem Krankentransport in das nächste Krankenhaus gebracht. 

Die Schüler folgten dem Weg des Patienten weiter und wurden von Behrendt über die Vorgehensweise in der Zentralen Notaufnahme aufgeklärt, besichtigten einen Schockraum und die Röntgenabteilung mit CT. 

Welche Arten von Verletzungen in diesen Räumen untersucht und behandelt werden, erfuhren die Zehntklässler bereits im theoretischen Teil. Prof. Christian Bahrs, Chefarzt in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie der Neustädter Klinik, gab den Schülern einen Einblick in die Vielfalt von Verletzungen. „Ein Trauma ist die Schädigung eines lebenden Organismus durch ein Ereignis von außen – dieses kann psychisch und/oder physisch auftreten“ sagte Bahrs. Treten die Verletzungen am Kopf oder im Bauchbereich auf, seien diese meist am schlimmsten. Bei Mehrfachverletzungen sei Zeit der wichtigste Faktor und die gute Zusammenarbeit von Polizei, Rettungsdienst, Notarzt und der Leitstelle maßgeblich. 

Behrendt ergänzte, wie sich Verletzungen im Gehirn auswirken und erläuterte: „Das Gehirn hat den größten Einfluss auf unsere Lebensqualität und bedarf deshalb einer besonderen Aufmerksamkeit“. Beim Auftreten von Gehirnblutungen steige der Druck im Kopf und das eigene Blut verletze Gehirnmasse, da der Schädel zu unnachgiebig sei. Sei ein Gehirn stark verletzt, werden laut Behrendt Bohrungen zur Druckentlastung durchgeführt oder sogar die Schädeldecke für einige Zeit entfernt. „Ob ein Gehirn vollständig verheilt, kann aber meist nicht genau gesagt werden – also Leute, tragt einen Helm und macht euch über eure Frisur keine unnötigen Gedanken!“, richtete Behrendt seinen Appell an die Schüler.
Die zeigten sich am Ende der Veranstaltung nachdenklich und beeindruckt und stellten fest: „Das war richtig gute Prävention – und dieses Mal nicht plump, sondern anschaulich und nachvollziehbar“.
Astrid Schock